Mirsch, Johanna (2017)
Biologischer Nachweis niedriger Dosen ionisierender Strahlung.
Technische Universität Darmstadt
Dissertation, Erstveröffentlichung
Kurzbeschreibung (Abstract)
Menschen sind, ohne es wahrzunehmen, zeitlebens in Kontakt mit ionisierender Strahlung. Für die deutsche Bevölkerung beträgt die durchschnittliche Strahlenexposition circa 4 mSv pro Jahr, die sich aus der natürlich auftretenden und der zivilisatorischen Strahlung zusammen setzt. Das assoziierte gesundheitliche Risiko von solch niedrigen beziehungsweise alltäglichen Strahlenexpositionen wird intensiv und kontrovers diskutiert, was die gesellschaftliche Relevanz von Studien mit niedrigen Strahlendosen unterstreicht. Im Zuge dieser Diskussion können durch molekulare Studien wichtige Erkenntnisse zur Strahlenwirkung auf den Organismus gewonnen werden, die zu einem detaillierten Verständnis beitragen und damit derzeitige Modelle zur Risikoabschätzung verbessern. Ein Ansatzpunkt für molekulare Studien sind die mannigfaltigen Schäden in den Zellen des Organismus, die der Strahlenwirkung zugrundeliegen. Im Rahmen dieser Arbeit wurde in drei Projekten mit unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten der DNA-Doppelstrangbruch (DSB) analysiert. Dieser wird als der gefährlichste DNA-Schaden nach einer Strahlenexposition für eine Zelle betrachtet, da er im Vergleich zu anderen DNA-Schäden relativ leicht zum Verlust von genetischer Information führen kann und damit ein erhebliches Risiko für die genetische Integrität der Zelle darstellt.
Im ersten Projekt der vorliegenden Arbeit konnten erstmals umfangreiche biologische Ergebnisse zur Bahnstruktur von Schwerionen für den Vergleich mit den bisher ausschließlich physikalischen Dosimetrieverfahren gewonnen werden. Schwere Ionen sind ein Teil der natürlich auftretenden Strahlung, werden aber auch aufgrund ihrer, im Vergleich zu Röntgenstrahlen, hohen Strahlenwirksamkeit zunehmend in der Tumortherapie eingesetzt. Die hohe Strahlenwirksamkeit beruht auf der charakteristischen Energiedeposition und Bahnstruktur, welche bei der Bestrahlung von lebenden Zellen ein dreidimensionales Schadens¬muster hinterlässt. Dieses Muster ist das Resultat einer hohen Dosisdeposition entlang der Ionenspur sowie einer sehr niedrigen Dosisdeposition von wenigen Milli-Gray im äußeren Bereich um die Ionenspur. Mit der murinen Retina als einzigartiges Modellorgan gelang es, einen Abfall der Dosis im sub-µm-Bereich mit zunehmendem Abstand zur Ionenspur nachzuweisen. Darüber hinaus wurden erste biologische Daten erhoben, die die Existenz einer Hintergrunddosis aufzeigten, welche aus der Dosisaddition zahlreicher, voneinander unabhängiger Bahnstrukturen resultiert. Somit setzt diese Arbeit an dem Punkt an, wo die physikalische Strahlenwirkung in eine biologische Strahlenwirkung übergeht und bietet umfangreiche biologische Daten für die Verifikation von physikalischen Dosimetrieverfahren beziehungsweise den darauf aufbauenden Modellen. Diese werden unter anderem zur Bestrahlungsplanung bei einer Tumortherapie mit Ionen eingesetzt.
Im zweiten Projekt wurde aufbauend auf vorangegangenen Studien die Reparatur von DSBs nach der Bestrahlung mit Röntgenstrahlen analysiert. Für diese Studien wurden Strahlendosen verwendet, wie sie weltweit tagtäglich in der medizinisch-radiologischen Diagnostik eingesetzt werden. Während für die Induktion von DSBs ein linearer Zusammenhang mit der applizierten Dosis festgestellt wurde, war die anschließende Reparatur der DSBs jedoch stark beeinträchtigt, wenn nur wenige Milli-Gray Röntgenstrahlen appliziert wurden. Erste Hinweise auf den zugrundeliegenden Mechanismus wurden in der Studie von Grudzenski et al. (2010, in PNAS 107:14205-10) beschrieben. Die Ergebnisse dieser Studie deuten darauf hin, dass ein bestimmter ROS-induzierter oxidativer Stress notwendig ist, um die DSB-Reparatur effizient zu aktivieren. Um diese Hypothese zu testen, wurden humane Fibroblasten vor der Bestrahlung mit dem Radikalfänger N-Acetylcystein behandelt. Tatsächlich zeigten mit N-Acetylcystein behandelte Zellen im Vergleich zu nicht behandelten Zellen eine verschlechterte DSB-Reparatureffizienz. Entsprechende in vivo Studien mit der Maus als Modellorganismus bestätigten die physiologische Relevanz dieses Ergebnisses und verdeutlichen damit die kritische Rolle des zellulären Stresslevels auf die DSB-Reparatur.
Im dritten Teilprojekt wurde ebenfalls die Maus als Modellorganismus eingesetzt, um die inhomogene Verteilung von Radon im Körper über die beim Zerfall in lebenden Zellen induzierten DSBs erstmalig biologisch nachzuweisen. Radon ist ein natürlich auftretendes radioaktives Edelgas, welches überall auf der Welt in unterschiedlichen Konzentrationen vorkommt und zur Strahlenbelastung der Bevölkerung beiträgt. Obwohl die Exposition von Radon ein wesentlicher Risikofaktor bei der Entstehung von Lungenkrebs ist, sind Radon-Kuren ein beliebtes Heilmittel beispielsweise zur Behandlung von Patienten mit entzündlichen Krankheiten des Bewegungs-apparates. Da für die Experimente Therapie-relevante Rahmenbedingungen gewählt wurden, spiegelt die innerhalb des Projektes bestimmte Dosis der analysierten Organe die Therapie-assoziierte Strahlenexposition wider. Das gewonnene detaillierte Verständnis zur inhomogenen Verteilung von Radon im Körper und der damit verbundenen biologischen Effekte wird auch bei der Erforschung der bisher ungeklärten therapeutischen Wirkung von Radon bei entzündlichen Erkrankungen helfen. Allgemeiner betrachtet bieten diese umfangreichen biologischen Daten die einzigartige Möglichkeit, die mathematischen Modelle zur Risikoabschätzung von Radonexpositionen biologisch zu verifizieren und entsprechend weiter zu entwickeln.
Zusammengefasst wurden in drei Projekten die Konsequenzen einer Bestrahlung von niedrigen, alltäglich vorkommenden Strahlenexpositionen untersucht. Im Kontext der anhaltenden Diskussion über die Effekte solcher niedrigen Strahlendosen verdeutlicht jedes der Projekte, dass auch niedrige Expositionen zu nicht vernachlässigbaren Effekten führen. Daher ist ein detailliertes Verständnis der Strahlenwirkung essentiell für deren therapeutische Anwendung sowie den Strahlenschutz.
Typ des Eintrags: | Dissertation | ||||
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Erschienen: | 2017 | ||||
Autor(en): | Mirsch, Johanna | ||||
Art des Eintrags: | Erstveröffentlichung | ||||
Titel: | Biologischer Nachweis niedriger Dosen ionisierender Strahlung | ||||
Sprache: | Deutsch | ||||
Referenten: | Löbrich, Prof. Dr. Markus ; Laube, Prof. Dr. Bodo | ||||
Publikationsjahr: | 2017 | ||||
Ort: | Darmstadt | ||||
Datum der mündlichen Prüfung: | 17 März 2017 | ||||
URL / URN: | http://tuprints.ulb.tu-darmstadt.de/6148 | ||||
Kurzbeschreibung (Abstract): | Menschen sind, ohne es wahrzunehmen, zeitlebens in Kontakt mit ionisierender Strahlung. Für die deutsche Bevölkerung beträgt die durchschnittliche Strahlenexposition circa 4 mSv pro Jahr, die sich aus der natürlich auftretenden und der zivilisatorischen Strahlung zusammen setzt. Das assoziierte gesundheitliche Risiko von solch niedrigen beziehungsweise alltäglichen Strahlenexpositionen wird intensiv und kontrovers diskutiert, was die gesellschaftliche Relevanz von Studien mit niedrigen Strahlendosen unterstreicht. Im Zuge dieser Diskussion können durch molekulare Studien wichtige Erkenntnisse zur Strahlenwirkung auf den Organismus gewonnen werden, die zu einem detaillierten Verständnis beitragen und damit derzeitige Modelle zur Risikoabschätzung verbessern. Ein Ansatzpunkt für molekulare Studien sind die mannigfaltigen Schäden in den Zellen des Organismus, die der Strahlenwirkung zugrundeliegen. Im Rahmen dieser Arbeit wurde in drei Projekten mit unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten der DNA-Doppelstrangbruch (DSB) analysiert. Dieser wird als der gefährlichste DNA-Schaden nach einer Strahlenexposition für eine Zelle betrachtet, da er im Vergleich zu anderen DNA-Schäden relativ leicht zum Verlust von genetischer Information führen kann und damit ein erhebliches Risiko für die genetische Integrität der Zelle darstellt. Im ersten Projekt der vorliegenden Arbeit konnten erstmals umfangreiche biologische Ergebnisse zur Bahnstruktur von Schwerionen für den Vergleich mit den bisher ausschließlich physikalischen Dosimetrieverfahren gewonnen werden. Schwere Ionen sind ein Teil der natürlich auftretenden Strahlung, werden aber auch aufgrund ihrer, im Vergleich zu Röntgenstrahlen, hohen Strahlenwirksamkeit zunehmend in der Tumortherapie eingesetzt. Die hohe Strahlenwirksamkeit beruht auf der charakteristischen Energiedeposition und Bahnstruktur, welche bei der Bestrahlung von lebenden Zellen ein dreidimensionales Schadens¬muster hinterlässt. Dieses Muster ist das Resultat einer hohen Dosisdeposition entlang der Ionenspur sowie einer sehr niedrigen Dosisdeposition von wenigen Milli-Gray im äußeren Bereich um die Ionenspur. Mit der murinen Retina als einzigartiges Modellorgan gelang es, einen Abfall der Dosis im sub-µm-Bereich mit zunehmendem Abstand zur Ionenspur nachzuweisen. Darüber hinaus wurden erste biologische Daten erhoben, die die Existenz einer Hintergrunddosis aufzeigten, welche aus der Dosisaddition zahlreicher, voneinander unabhängiger Bahnstrukturen resultiert. Somit setzt diese Arbeit an dem Punkt an, wo die physikalische Strahlenwirkung in eine biologische Strahlenwirkung übergeht und bietet umfangreiche biologische Daten für die Verifikation von physikalischen Dosimetrieverfahren beziehungsweise den darauf aufbauenden Modellen. Diese werden unter anderem zur Bestrahlungsplanung bei einer Tumortherapie mit Ionen eingesetzt. Im zweiten Projekt wurde aufbauend auf vorangegangenen Studien die Reparatur von DSBs nach der Bestrahlung mit Röntgenstrahlen analysiert. Für diese Studien wurden Strahlendosen verwendet, wie sie weltweit tagtäglich in der medizinisch-radiologischen Diagnostik eingesetzt werden. Während für die Induktion von DSBs ein linearer Zusammenhang mit der applizierten Dosis festgestellt wurde, war die anschließende Reparatur der DSBs jedoch stark beeinträchtigt, wenn nur wenige Milli-Gray Röntgenstrahlen appliziert wurden. Erste Hinweise auf den zugrundeliegenden Mechanismus wurden in der Studie von Grudzenski et al. (2010, in PNAS 107:14205-10) beschrieben. Die Ergebnisse dieser Studie deuten darauf hin, dass ein bestimmter ROS-induzierter oxidativer Stress notwendig ist, um die DSB-Reparatur effizient zu aktivieren. Um diese Hypothese zu testen, wurden humane Fibroblasten vor der Bestrahlung mit dem Radikalfänger N-Acetylcystein behandelt. Tatsächlich zeigten mit N-Acetylcystein behandelte Zellen im Vergleich zu nicht behandelten Zellen eine verschlechterte DSB-Reparatureffizienz. Entsprechende in vivo Studien mit der Maus als Modellorganismus bestätigten die physiologische Relevanz dieses Ergebnisses und verdeutlichen damit die kritische Rolle des zellulären Stresslevels auf die DSB-Reparatur. Im dritten Teilprojekt wurde ebenfalls die Maus als Modellorganismus eingesetzt, um die inhomogene Verteilung von Radon im Körper über die beim Zerfall in lebenden Zellen induzierten DSBs erstmalig biologisch nachzuweisen. Radon ist ein natürlich auftretendes radioaktives Edelgas, welches überall auf der Welt in unterschiedlichen Konzentrationen vorkommt und zur Strahlenbelastung der Bevölkerung beiträgt. Obwohl die Exposition von Radon ein wesentlicher Risikofaktor bei der Entstehung von Lungenkrebs ist, sind Radon-Kuren ein beliebtes Heilmittel beispielsweise zur Behandlung von Patienten mit entzündlichen Krankheiten des Bewegungs-apparates. Da für die Experimente Therapie-relevante Rahmenbedingungen gewählt wurden, spiegelt die innerhalb des Projektes bestimmte Dosis der analysierten Organe die Therapie-assoziierte Strahlenexposition wider. Das gewonnene detaillierte Verständnis zur inhomogenen Verteilung von Radon im Körper und der damit verbundenen biologischen Effekte wird auch bei der Erforschung der bisher ungeklärten therapeutischen Wirkung von Radon bei entzündlichen Erkrankungen helfen. Allgemeiner betrachtet bieten diese umfangreichen biologischen Daten die einzigartige Möglichkeit, die mathematischen Modelle zur Risikoabschätzung von Radonexpositionen biologisch zu verifizieren und entsprechend weiter zu entwickeln. Zusammengefasst wurden in drei Projekten die Konsequenzen einer Bestrahlung von niedrigen, alltäglich vorkommenden Strahlenexpositionen untersucht. Im Kontext der anhaltenden Diskussion über die Effekte solcher niedrigen Strahlendosen verdeutlicht jedes der Projekte, dass auch niedrige Expositionen zu nicht vernachlässigbaren Effekten führen. Daher ist ein detailliertes Verständnis der Strahlenwirkung essentiell für deren therapeutische Anwendung sowie den Strahlenschutz. |
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Alternatives oder übersetztes Abstract: |
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URN: | urn:nbn:de:tuda-tuprints-61485 | ||||
Sachgruppe der Dewey Dezimalklassifikatin (DDC): | 500 Naturwissenschaften und Mathematik > 500 Naturwissenschaften 500 Naturwissenschaften und Mathematik > 570 Biowissenschaften, Biologie |
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Fachbereich(e)/-gebiet(e): | 10 Fachbereich Biologie 10 Fachbereich Biologie > Radiation Biology and DNA Repair |
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Hinterlegungsdatum: | 30 Apr 2017 19:55 | ||||
Letzte Änderung: | 30 Apr 2017 19:55 | ||||
PPN: | |||||
Referenten: | Löbrich, Prof. Dr. Markus ; Laube, Prof. Dr. Bodo | ||||
Datum der mündlichen Prüfung / Verteidigung / mdl. Prüfung: | 17 März 2017 | ||||
Export: | |||||
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