Gillich, Kim (2012)
Wirkungsabschätzung der Maßnahme „zulässige Höchstgeschwindigkeit 30 km/h innerorts“.
Technische Universität Darmstadt
Bachelorarbeit, Bibliographie
Kurzbeschreibung (Abstract)
Die Maßnahme „zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h innerorts“ ist ein zwischen Politikern, Verbänden und Organisationen seit langem stark diskutiertes Thema, welches sich vor allem im Laufe des letzten Jahres wieder zuspitzte. Dabei stehen sich die Befürworter, die eine größere Verkehrssicherheit sowie die Minimierung der Luftschadstoff- und Lärmemissionsbelastungen anstreben, den Ablehnern, welche einen stockenden Verkehrsfluss mit Verkehrsverlagerungen in beruhigte Wohngebiete befürchten, gegenüber. Ausgelöst wurde die Diskussion schon in den 80er Jahren, in denen umfangreiche Modellversuche mit zonenbeschränkten Ausweisungen von Höchstgeschwindigkeiten mit 30 km/h durchgeführt und letztendlich, aufgrund des signifikanten Rückgangs der Unfallzahlen, die Maßnahme der Ausweisung von Tempo 30-Zonen in die Straßenverkehrsordnung (StVO) aufgenommen wurde. Eine spätere StVO-Novellierung führte zu einem rasanten, teilweise gemeindeflächendeckenden Anstieg der Tempo 30-Zonen, da den Gemeinden die Ausweisung dieser Zonen erleichtert wurde. Der Forderung des Deutschen Städtetages, anstatt der Zonen eine generelle „zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h innerorts“ festzusetzen, wurde zu jener Zeit zwar nicht nachgekommen, dennoch ist der Gedanke in den Köpfen der Verkehrswissenschaftler bis dato noch präsent. Eine durch schwedische Verkehrsfachleute im Ende des 20. Jahrhunderts erstandene Idee, welche zum Beispiel eine Straßenraumgestaltung für verkehrssichere Geschwindigkeiten vorsah, um das Tötungsrisiko bei Kollisionen von Verkehrsteilnehmern zu verhindern, entwickelte sich zu einer Zielvorstellung, des sogenannten „Vision Zero“, um zukünftig die Zahl der Verkehrstoten auf ein Minimum zu reduzieren. Das europäische Parlament nahm diese Zielvorstellung im Jahr 2011 in ihrem Bericht zur Europäischen Straßenverkehrssicherheit mit auf und gaben dadurch den Anlass zur aktuellen politischen Debatte über die Maßnahme „zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h innerorts“. Um die Auswirkungen der Maßnahme beschreiben zu können, werden in dieser Arbeit zunächst die Auswirkungen auf das Mobilitätsbedürfnis, die Wirtschaftlichkeit, die Verkehrssicherheit und die Umweltbelastungen, welche in dieser Arbeit auch als Wirkungsfelder bezeichnet werden, untersucht, um im nächstem Schritt diese Auswirkungen auf ein bestehendes Verkehrssystem, die Qualität des städtischen Umfeldes und die Akzeptanz der einzelnen Verkehrsteilnehmer und Anwohner zu übertragen und zu untersuchen. Bei den Wirkungsfeldern stellt sich durch die Maßnahme ein hohes Maß an Zugewinn bei der Verkehrssicherheit heraus. Reduzierte Geschwindigkeiten sind aufgrund geringerer Kollisionsgeschwindigkeiten die effektivste Lösung, um die Unfallschwere zu reduzieren. Zudem wird die Wahrnehmung der Fahrzeugführer für schwache Verkehrsteilnehmer sensibler und die Reaktionsfähigkeit wird dadurch gesteigert. Da Kinder unter zehn Jahren nicht im Stande sind, eine Fahrzeuggeschwindigkeit von mehr als 30 km/h richtig einzuschätzen, werden diese durch die Maßnahme zusätzlich geschützt. Wichtigste Kenngröße zur Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeiten sind jedoch die Akzeptanz der einzelnen Fahrzeugführer. Zwar lässt sich eine Akzeptanzsteigerung schon allein durch eine flächendeckende Ausweisung von 30 km/h implizieren, jedoch bedarf es zur allgemein schnelleren Einhaltung der Maßnahmen einer gut organisierten Öffentlichkeitsarbeit. Diese fördert das Problembewusstsein der Fahrzeugführer und kann eine Verhaltensänderung des sozialen Umfeldes hervorrufen, wodurch auch der einzelne Fahrzeugführer beeinflusst wird, sein Verhalten schneller zu ändern. Eine Verhaltensänderung kann zum einen in der Akzeptanz zur Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h liegen, zum anderen auch den Umstieg von dem Verkehrsmittel MIV auf den Umweltverbund bedeuteten. Es ist also generell davon auszugehen, dass der Anteil des Umweltverbundes am Modal Split zunehmen wird, sofern mögliche alternative Verkehrsmittel zur Verfügung stehen. Zwischen Kerngebieten und ländlichen Räumen können demnach unterschiedliche Verhaltensänderungen erkannt werden. So könnten sogar MIV-gebundene Fahrzeugführer aus ländlichen Räumen aufgrund verlängerten Reisezeiten und ohne Umsteigemöglichkeiten auf den ÖV, einen Wohnungswechsel zur Kompensation des Handicaps vorziehen. Bei den Lärmemissionen zeigt sich vergleichsweise zur Verkehrssicherheit ein eindeutiges Bild. Langsamere gefahrene Geschwindigkeiten emittieren geringere Schalldrücke, wodurch der Schalldruckpegel, hörbar als Lärm bezeichnet, sinkt. Diese Schalldrücke entstehen zum einen aus dem Motor (Motorengeräusche) und aus den Schwingungen der Reifen (Rollgeräusche) und zum anderen aus den Luftwiderständen bei hohen Geschwindigkeiten (aerodynamisches Fahrgeräusche). Je nach Geschwindigkeit ist dabei eine Geräuschart dominanter als die andere. Bei der Reduzierung der gefahrenen Geschwindigkeit von 50 km/h auf 30 km/h werden weitestgehend die Rollgeräusche gesenkt, jedoch sind unterhalb der 30 km/h die Motorengeräusche dominant, wodurch niedrigere Geschwindigkeiten als 30 km/h keine signifikant geringere Lärmemissionen mehr aufweisen. Eine Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h ist demzufolge eine sinnvolle Maßnahme zur Reduzierung der Lärmemissionen und kann, je nach Straßenoberfläche und Pkw, bis zu einer Lärmminderung von vier Dezibel beitragen. Über die Luftschadstoffemissionen, welche ebenfalls zu den Umweltbelastungen gezählt werden, kann keine genaue Aussage getroffen werden. In Messfahrten wurde festgestellt, dass eine konstante Geschwindigkeit von 30 km/h mehr Schadstoffemissionen erzeugt als eine konstante Geschwindigkeit von 50 km/h. Entscheidend für die endgültigen Schadstoffemissionen einer Strecke bei unterschiedlichen Geschwindigkeiten ist jedoch die Häufigkeit der Beschleunigungsphasen, da in diesen Phasen der Kraftstoffverbrauch und somit auch die Luftschadstoffe deutlich höher ausfallen als bei konstanten Geschwindigkeiten. Bei Streckenlängen von weniger als 250 Metern Länge ergibt sich für eine Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h weniger Schadstoffemissionen als mit einer Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h. Somit kann in Gebieten mit Knotenpunktabständen unter 250 Metern von einer Reduktion der Luftschadstoffe ausgegangen werden, auf längeren Strecken, insbesondere auf Hauptverkehrsstraßen mit Vorfahrtsregelung, sind Erhöhungen der Luftschadstoffe zu erwarten. Jedoch sind die Luftschadstoffe neben der Geschwindigkeit, dem Anteil an Beschleunigungsphasen auch von der Steigung der Straße und der aktuellen Verkehrslage abhängig, wodurch eine genaue Aussage abschließend nicht getroffen werden kann. Generell gilt jedoch, dass eine konstante Geschwindigkeit weniger Luftschadstoffe verursacht als eine Beschleunigungsphase, wodurch die Schadstoffe allein durch, falls zuvor nicht schon vorhanden, einen stetigen Verkehrsfluss oder mehrere an den Verkehrsstrom angepasste Lichtsignalanlagen (Grüne Welle) deutlich gesenkt werden könnten. Als insgesamt wirtschaftlich kann die Maßnahme „zulässige Höchstgeschwindigkeit 30 km/h innerorts“ schon bei einer geringen Abnahme der Unfalltoten gesehen werden, da ungefähr auf einen im Straßenverkehr Verstorbenen ein volkswirtschaftlicher Schaden von knapp einer Million Euro entsteht. Erhöhte volkswirtschaftliche Schäden durch eine Zunahme der Umweltbelastungen fallen dabei kaum ins Gewicht, wobei zu sagen ist, dass durch niedrigere Höchstgeschwindigkeiten die sinkenden Lärmemissionen sich positiv auf die volkswirtschaftlichen Kosten auswirken. Die Einsparung an volkswirtschaftlichen Kosten könnte in die Öffentlichkeitsarbeit und in den Ausbau von baulichen Maßnahmen an Straßen verwendet werden, um dort zum Beispiel durch mit Fahrbahnverengung das Befahren der Fahrbahn mit zu hohen Geschwindigkeiten zu erschweren. Eine kostengünstige Verengung der Fahrbahn kann jedoch teilweise auch durch das Verbot des Parkens auf Gehsteigen sichergestellt werden. Auch der Ausbau des Fuß- und Radwegenetz zur Steigerung der Attraktivität dieser Verkehrsmittel bei der Verkehrsmittelwahl, würde durch die Einsparungen der volkswirtschaftlichen Kosten gedeckt werden. Die erhöhte Attraktivität könnte sich zudem positiv auf den Model Split auswirken, wodurch wiederrum enormes Einsparpotenzial für die volkswirtschaftlichen Kosten entstehen, da durch eine Verringerung des Pkw-Anteils am Modal Split die Luftschadstoffe und die Lärmemissionen ebenfalls zurückgehen. Durch das Zusammenspiel aller vier Wirkungsfelder kann sich durch eine Akzeptanzsteigerung eine Verlagerung des Straßenverkehrs zu umweltfreundlicheren Verkehrsmitteln ergeben sowie die Verkehrssicherheit verbessert und die Umweltbelastungen gemindert werden. Die Auswirkungen auf ein bestehendes Verkehrsnetz können, je nach Gemeinde, unterschiedlich stark ausfallen. Da Umweltbelastungen bei konstanten Geschwindigkeiten geringer als in Beschleunigungsphasen sind, ist zum Schutz der Umwelt ein Netz aus Vorfahrtsstraßen, dem sogenannten Vorrangnetz, zu erstellen. Dieses Vorrangnetz sollte so gewählt werden, dass möglichst viele Bereiche der Stadt schnell angefahren werden können, jedoch ist die Verkehrssicherheit aller Verkehrsteilnehmer jederzeit zu gewährleisten. Entscheidend bei der Wahl des Vorrangnetzes ist die Tatsache, dass die Beweislast umgekehrt wird. Es gilt nun nicht mehr zu begründen, warum auf einer Straße die Höchstgeschwindigkeit reduziert werden sollte, sondern weswegen sie erhöht werden sollte. Diese Umkehrung zeigt auch die neue Vorrangstellung der Verkehrssicherheit und der Umweltbelastungen entgegnen der ungehinderten Fahrt für den MIV. Grundsätzlich gilt jedoch, dass vor allem übergeordnete Straßen Vorfahrtsstraßen, aufgrund hoher Verkehrsdichte, bleiben sollten, es jedoch nicht zu viele Straßen beinhalten sollte, um dem Effekt der flächenhaften Verkehrsberuhigung nicht entgegen zu wirken. Die Belange des ÖPNV sind nach wie vor im Verkehrsnetz zu berücksichtigen, da es sich um ein umweltschonendes Verkehrsmittel handelt, dessen Attraktivität nicht gemindert werden sollte. Das städtische Umfeld wird durch die Reduktion der Höchstgeschwindigkeiten an Lebensqualität, insbesondere an Wohn- und Aufenthaltsqualität, gewinnen. Der Straßenverkehrslärm wird gesenkt und die Verkehrssicherheit gesteigert. Die Akzeptanz der einzelnen Verkehrsteilnehmer und somit die generelle Einhaltung der geringeren Höchstgeschwindigkeit ist stark von der Öffentlichkeitsarbeit abhängig. So konnte in Graz eine Akzeptanz von ungefähr 80 Prozent erreicht werden. Mit Hilfe des Norm-Aktivations-Modells wird in dieser Arbeit gezeigt, dass eine Akzeptanzsteigerung allein durch eine flächenhafte Einführung erreicht werden kann und die Öffentlichkeitsarbeit vor allem als unterstützend eingesetzt werden muss, um den Prozess der Akzeptanzsteigerung zu beschleunigen. Im Fallbeispiel Darmstadt wird ein Verkehrsnetz im Sinne der Maßnahme „zulässige Höchstgeschwindigkeit 30 km/h innerorts“ erstellt. Es zeigt sich durch die Erstellung deutlich, dass für die Verkehrsteilnehmer ein sehr übersichtliches Netz entsteht und mehr Verkehrsschilder, vor allem Tempo 30-Zonen-Beschilderungen, aus dem Straßennetz entnommen werden können, als neue hinzugestellt werden müssen, wodurch sich die Befürchtung eines Schilderwaldes nicht bestätigen lässt. Die ÖPNV-Linien Darmstadts können dabei größtenteils ohne Fahrzeitverluste weiter bestehen, da sie größtenteils schon in Tempo 30-Zonen verlaufen. Die Ausweisung der Verkehrszeichen 301 (Vorahrt), um den ÖPNV an Kreuzungen zu priorisieren, ist weiterhin möglich und wird auch genutzt. Insgesamt erhält Darmstadt durch die Einführung ein leicht verständliches Straßenverkehrsnetz, welches noch viele Potenziale für Fußgänger- und Radverkehre offen lässt. So können zum Beispiel Fahrradstraßen eingerichtet werden, um auch ein gutes Radwegenetz zu erhalten. In vielen Bereichen wird mit einer Lärmminderung zu rechnen sein, auch Minderungen der Luftschadstoffe sind möglich. Die Maßnahme „zulässige Höchstgeschwindigkeit 30 km/h innerorts“ erzielt im Bereich der Verkehrssicherheit und der Umweltbelastungen gute Ergebnisse, sie kann das Mobilitätsbedürfnis zu umweltschonender Verkehrsmittel lenken und ist für die Wirtschaftlichkeit zu begrüßen. Jedoch sollten die Vorrangnetze stets auf ihre Kapazitäten und den gefahrenen Höchstgeschwindigkeiten geprüft werden, um eventuell weitere Vorfahrtsstraßen vom Vorrangnetz auszuschließen. Es empfiehlt sich, einen flächendeckenden Modelversuch mit Überwachung von Geschwindigkeiten durchzuführen, um alle Wirkungsfelder vorab in einem realistischen Versuch auf die Probe zu stellen. Die Öffentlichkeit sollte jedoch im großen Maße beteiligt werden, um im Vorfeld eine gute Akzeptanz der Maßnahme sicherzustellen. Die Reduzierung der Unfallzahlen und der Umweltbelastungen sind grundlegende Ziele und für jeden Menschen nachvollziehbar.
Typ des Eintrags: | Bachelorarbeit | ||||
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Erschienen: | 2012 | ||||
Autor(en): | Gillich, Kim | ||||
Art des Eintrags: | Bibliographie | ||||
Titel: | Wirkungsabschätzung der Maßnahme „zulässige Höchstgeschwindigkeit 30 km/h innerorts“ | ||||
Sprache: | Deutsch | ||||
Referenten: | Boltze, Prof. Dr. Manfred ; von Mörner, Dipl. Ing. Moritz | ||||
Publikationsjahr: | 2012 | ||||
URL / URN: | https://www.verkehr.tu-darmstadt.de/media/verkehr/fgvv/beruf... | ||||
Zugehörige Links: | |||||
Kurzbeschreibung (Abstract): | Die Maßnahme „zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h innerorts“ ist ein zwischen Politikern, Verbänden und Organisationen seit langem stark diskutiertes Thema, welches sich vor allem im Laufe des letzten Jahres wieder zuspitzte. Dabei stehen sich die Befürworter, die eine größere Verkehrssicherheit sowie die Minimierung der Luftschadstoff- und Lärmemissionsbelastungen anstreben, den Ablehnern, welche einen stockenden Verkehrsfluss mit Verkehrsverlagerungen in beruhigte Wohngebiete befürchten, gegenüber. Ausgelöst wurde die Diskussion schon in den 80er Jahren, in denen umfangreiche Modellversuche mit zonenbeschränkten Ausweisungen von Höchstgeschwindigkeiten mit 30 km/h durchgeführt und letztendlich, aufgrund des signifikanten Rückgangs der Unfallzahlen, die Maßnahme der Ausweisung von Tempo 30-Zonen in die Straßenverkehrsordnung (StVO) aufgenommen wurde. Eine spätere StVO-Novellierung führte zu einem rasanten, teilweise gemeindeflächendeckenden Anstieg der Tempo 30-Zonen, da den Gemeinden die Ausweisung dieser Zonen erleichtert wurde. Der Forderung des Deutschen Städtetages, anstatt der Zonen eine generelle „zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h innerorts“ festzusetzen, wurde zu jener Zeit zwar nicht nachgekommen, dennoch ist der Gedanke in den Köpfen der Verkehrswissenschaftler bis dato noch präsent. Eine durch schwedische Verkehrsfachleute im Ende des 20. Jahrhunderts erstandene Idee, welche zum Beispiel eine Straßenraumgestaltung für verkehrssichere Geschwindigkeiten vorsah, um das Tötungsrisiko bei Kollisionen von Verkehrsteilnehmern zu verhindern, entwickelte sich zu einer Zielvorstellung, des sogenannten „Vision Zero“, um zukünftig die Zahl der Verkehrstoten auf ein Minimum zu reduzieren. Das europäische Parlament nahm diese Zielvorstellung im Jahr 2011 in ihrem Bericht zur Europäischen Straßenverkehrssicherheit mit auf und gaben dadurch den Anlass zur aktuellen politischen Debatte über die Maßnahme „zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h innerorts“. Um die Auswirkungen der Maßnahme beschreiben zu können, werden in dieser Arbeit zunächst die Auswirkungen auf das Mobilitätsbedürfnis, die Wirtschaftlichkeit, die Verkehrssicherheit und die Umweltbelastungen, welche in dieser Arbeit auch als Wirkungsfelder bezeichnet werden, untersucht, um im nächstem Schritt diese Auswirkungen auf ein bestehendes Verkehrssystem, die Qualität des städtischen Umfeldes und die Akzeptanz der einzelnen Verkehrsteilnehmer und Anwohner zu übertragen und zu untersuchen. Bei den Wirkungsfeldern stellt sich durch die Maßnahme ein hohes Maß an Zugewinn bei der Verkehrssicherheit heraus. Reduzierte Geschwindigkeiten sind aufgrund geringerer Kollisionsgeschwindigkeiten die effektivste Lösung, um die Unfallschwere zu reduzieren. Zudem wird die Wahrnehmung der Fahrzeugführer für schwache Verkehrsteilnehmer sensibler und die Reaktionsfähigkeit wird dadurch gesteigert. Da Kinder unter zehn Jahren nicht im Stande sind, eine Fahrzeuggeschwindigkeit von mehr als 30 km/h richtig einzuschätzen, werden diese durch die Maßnahme zusätzlich geschützt. Wichtigste Kenngröße zur Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeiten sind jedoch die Akzeptanz der einzelnen Fahrzeugführer. Zwar lässt sich eine Akzeptanzsteigerung schon allein durch eine flächendeckende Ausweisung von 30 km/h implizieren, jedoch bedarf es zur allgemein schnelleren Einhaltung der Maßnahmen einer gut organisierten Öffentlichkeitsarbeit. Diese fördert das Problembewusstsein der Fahrzeugführer und kann eine Verhaltensänderung des sozialen Umfeldes hervorrufen, wodurch auch der einzelne Fahrzeugführer beeinflusst wird, sein Verhalten schneller zu ändern. Eine Verhaltensänderung kann zum einen in der Akzeptanz zur Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h liegen, zum anderen auch den Umstieg von dem Verkehrsmittel MIV auf den Umweltverbund bedeuteten. Es ist also generell davon auszugehen, dass der Anteil des Umweltverbundes am Modal Split zunehmen wird, sofern mögliche alternative Verkehrsmittel zur Verfügung stehen. Zwischen Kerngebieten und ländlichen Räumen können demnach unterschiedliche Verhaltensänderungen erkannt werden. So könnten sogar MIV-gebundene Fahrzeugführer aus ländlichen Räumen aufgrund verlängerten Reisezeiten und ohne Umsteigemöglichkeiten auf den ÖV, einen Wohnungswechsel zur Kompensation des Handicaps vorziehen. Bei den Lärmemissionen zeigt sich vergleichsweise zur Verkehrssicherheit ein eindeutiges Bild. Langsamere gefahrene Geschwindigkeiten emittieren geringere Schalldrücke, wodurch der Schalldruckpegel, hörbar als Lärm bezeichnet, sinkt. Diese Schalldrücke entstehen zum einen aus dem Motor (Motorengeräusche) und aus den Schwingungen der Reifen (Rollgeräusche) und zum anderen aus den Luftwiderständen bei hohen Geschwindigkeiten (aerodynamisches Fahrgeräusche). Je nach Geschwindigkeit ist dabei eine Geräuschart dominanter als die andere. Bei der Reduzierung der gefahrenen Geschwindigkeit von 50 km/h auf 30 km/h werden weitestgehend die Rollgeräusche gesenkt, jedoch sind unterhalb der 30 km/h die Motorengeräusche dominant, wodurch niedrigere Geschwindigkeiten als 30 km/h keine signifikant geringere Lärmemissionen mehr aufweisen. Eine Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h ist demzufolge eine sinnvolle Maßnahme zur Reduzierung der Lärmemissionen und kann, je nach Straßenoberfläche und Pkw, bis zu einer Lärmminderung von vier Dezibel beitragen. Über die Luftschadstoffemissionen, welche ebenfalls zu den Umweltbelastungen gezählt werden, kann keine genaue Aussage getroffen werden. In Messfahrten wurde festgestellt, dass eine konstante Geschwindigkeit von 30 km/h mehr Schadstoffemissionen erzeugt als eine konstante Geschwindigkeit von 50 km/h. Entscheidend für die endgültigen Schadstoffemissionen einer Strecke bei unterschiedlichen Geschwindigkeiten ist jedoch die Häufigkeit der Beschleunigungsphasen, da in diesen Phasen der Kraftstoffverbrauch und somit auch die Luftschadstoffe deutlich höher ausfallen als bei konstanten Geschwindigkeiten. Bei Streckenlängen von weniger als 250 Metern Länge ergibt sich für eine Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h weniger Schadstoffemissionen als mit einer Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h. Somit kann in Gebieten mit Knotenpunktabständen unter 250 Metern von einer Reduktion der Luftschadstoffe ausgegangen werden, auf längeren Strecken, insbesondere auf Hauptverkehrsstraßen mit Vorfahrtsregelung, sind Erhöhungen der Luftschadstoffe zu erwarten. Jedoch sind die Luftschadstoffe neben der Geschwindigkeit, dem Anteil an Beschleunigungsphasen auch von der Steigung der Straße und der aktuellen Verkehrslage abhängig, wodurch eine genaue Aussage abschließend nicht getroffen werden kann. Generell gilt jedoch, dass eine konstante Geschwindigkeit weniger Luftschadstoffe verursacht als eine Beschleunigungsphase, wodurch die Schadstoffe allein durch, falls zuvor nicht schon vorhanden, einen stetigen Verkehrsfluss oder mehrere an den Verkehrsstrom angepasste Lichtsignalanlagen (Grüne Welle) deutlich gesenkt werden könnten. Als insgesamt wirtschaftlich kann die Maßnahme „zulässige Höchstgeschwindigkeit 30 km/h innerorts“ schon bei einer geringen Abnahme der Unfalltoten gesehen werden, da ungefähr auf einen im Straßenverkehr Verstorbenen ein volkswirtschaftlicher Schaden von knapp einer Million Euro entsteht. Erhöhte volkswirtschaftliche Schäden durch eine Zunahme der Umweltbelastungen fallen dabei kaum ins Gewicht, wobei zu sagen ist, dass durch niedrigere Höchstgeschwindigkeiten die sinkenden Lärmemissionen sich positiv auf die volkswirtschaftlichen Kosten auswirken. Die Einsparung an volkswirtschaftlichen Kosten könnte in die Öffentlichkeitsarbeit und in den Ausbau von baulichen Maßnahmen an Straßen verwendet werden, um dort zum Beispiel durch mit Fahrbahnverengung das Befahren der Fahrbahn mit zu hohen Geschwindigkeiten zu erschweren. Eine kostengünstige Verengung der Fahrbahn kann jedoch teilweise auch durch das Verbot des Parkens auf Gehsteigen sichergestellt werden. Auch der Ausbau des Fuß- und Radwegenetz zur Steigerung der Attraktivität dieser Verkehrsmittel bei der Verkehrsmittelwahl, würde durch die Einsparungen der volkswirtschaftlichen Kosten gedeckt werden. Die erhöhte Attraktivität könnte sich zudem positiv auf den Model Split auswirken, wodurch wiederrum enormes Einsparpotenzial für die volkswirtschaftlichen Kosten entstehen, da durch eine Verringerung des Pkw-Anteils am Modal Split die Luftschadstoffe und die Lärmemissionen ebenfalls zurückgehen. Durch das Zusammenspiel aller vier Wirkungsfelder kann sich durch eine Akzeptanzsteigerung eine Verlagerung des Straßenverkehrs zu umweltfreundlicheren Verkehrsmitteln ergeben sowie die Verkehrssicherheit verbessert und die Umweltbelastungen gemindert werden. Die Auswirkungen auf ein bestehendes Verkehrsnetz können, je nach Gemeinde, unterschiedlich stark ausfallen. Da Umweltbelastungen bei konstanten Geschwindigkeiten geringer als in Beschleunigungsphasen sind, ist zum Schutz der Umwelt ein Netz aus Vorfahrtsstraßen, dem sogenannten Vorrangnetz, zu erstellen. Dieses Vorrangnetz sollte so gewählt werden, dass möglichst viele Bereiche der Stadt schnell angefahren werden können, jedoch ist die Verkehrssicherheit aller Verkehrsteilnehmer jederzeit zu gewährleisten. Entscheidend bei der Wahl des Vorrangnetzes ist die Tatsache, dass die Beweislast umgekehrt wird. Es gilt nun nicht mehr zu begründen, warum auf einer Straße die Höchstgeschwindigkeit reduziert werden sollte, sondern weswegen sie erhöht werden sollte. Diese Umkehrung zeigt auch die neue Vorrangstellung der Verkehrssicherheit und der Umweltbelastungen entgegnen der ungehinderten Fahrt für den MIV. Grundsätzlich gilt jedoch, dass vor allem übergeordnete Straßen Vorfahrtsstraßen, aufgrund hoher Verkehrsdichte, bleiben sollten, es jedoch nicht zu viele Straßen beinhalten sollte, um dem Effekt der flächenhaften Verkehrsberuhigung nicht entgegen zu wirken. Die Belange des ÖPNV sind nach wie vor im Verkehrsnetz zu berücksichtigen, da es sich um ein umweltschonendes Verkehrsmittel handelt, dessen Attraktivität nicht gemindert werden sollte. Das städtische Umfeld wird durch die Reduktion der Höchstgeschwindigkeiten an Lebensqualität, insbesondere an Wohn- und Aufenthaltsqualität, gewinnen. Der Straßenverkehrslärm wird gesenkt und die Verkehrssicherheit gesteigert. Die Akzeptanz der einzelnen Verkehrsteilnehmer und somit die generelle Einhaltung der geringeren Höchstgeschwindigkeit ist stark von der Öffentlichkeitsarbeit abhängig. So konnte in Graz eine Akzeptanz von ungefähr 80 Prozent erreicht werden. Mit Hilfe des Norm-Aktivations-Modells wird in dieser Arbeit gezeigt, dass eine Akzeptanzsteigerung allein durch eine flächenhafte Einführung erreicht werden kann und die Öffentlichkeitsarbeit vor allem als unterstützend eingesetzt werden muss, um den Prozess der Akzeptanzsteigerung zu beschleunigen. Im Fallbeispiel Darmstadt wird ein Verkehrsnetz im Sinne der Maßnahme „zulässige Höchstgeschwindigkeit 30 km/h innerorts“ erstellt. Es zeigt sich durch die Erstellung deutlich, dass für die Verkehrsteilnehmer ein sehr übersichtliches Netz entsteht und mehr Verkehrsschilder, vor allem Tempo 30-Zonen-Beschilderungen, aus dem Straßennetz entnommen werden können, als neue hinzugestellt werden müssen, wodurch sich die Befürchtung eines Schilderwaldes nicht bestätigen lässt. Die ÖPNV-Linien Darmstadts können dabei größtenteils ohne Fahrzeitverluste weiter bestehen, da sie größtenteils schon in Tempo 30-Zonen verlaufen. Die Ausweisung der Verkehrszeichen 301 (Vorahrt), um den ÖPNV an Kreuzungen zu priorisieren, ist weiterhin möglich und wird auch genutzt. Insgesamt erhält Darmstadt durch die Einführung ein leicht verständliches Straßenverkehrsnetz, welches noch viele Potenziale für Fußgänger- und Radverkehre offen lässt. So können zum Beispiel Fahrradstraßen eingerichtet werden, um auch ein gutes Radwegenetz zu erhalten. In vielen Bereichen wird mit einer Lärmminderung zu rechnen sein, auch Minderungen der Luftschadstoffe sind möglich. Die Maßnahme „zulässige Höchstgeschwindigkeit 30 km/h innerorts“ erzielt im Bereich der Verkehrssicherheit und der Umweltbelastungen gute Ergebnisse, sie kann das Mobilitätsbedürfnis zu umweltschonender Verkehrsmittel lenken und ist für die Wirtschaftlichkeit zu begrüßen. Jedoch sollten die Vorrangnetze stets auf ihre Kapazitäten und den gefahrenen Höchstgeschwindigkeiten geprüft werden, um eventuell weitere Vorfahrtsstraßen vom Vorrangnetz auszuschließen. Es empfiehlt sich, einen flächendeckenden Modelversuch mit Überwachung von Geschwindigkeiten durchzuführen, um alle Wirkungsfelder vorab in einem realistischen Versuch auf die Probe zu stellen. Die Öffentlichkeit sollte jedoch im großen Maße beteiligt werden, um im Vorfeld eine gute Akzeptanz der Maßnahme sicherzustellen. Die Reduzierung der Unfallzahlen und der Umweltbelastungen sind grundlegende Ziele und für jeden Menschen nachvollziehbar. |
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Alternatives oder übersetztes Abstract: |
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Fachbereich(e)/-gebiet(e): | 13 Fachbereich Bau- und Umweltingenieurwissenschaften 13 Fachbereich Bau- und Umweltingenieurwissenschaften > Verbund Institute für Verkehr 13 Fachbereich Bau- und Umweltingenieurwissenschaften > Verbund Institute für Verkehr > Institut für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik |
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Hinterlegungsdatum: | 04 Apr 2016 13:00 | ||||
Letzte Änderung: | 22 Jun 2018 13:25 | ||||
PPN: | |||||
Referenten: | Boltze, Prof. Dr. Manfred ; von Mörner, Dipl. Ing. Moritz | ||||
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