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Neurophysiologische Studien zu raum-zeitlichen Mustern induzierter und evozierter Oszillationen

Gotthardt, Sascha (2011)
Neurophysiologische Studien zu raum-zeitlichen Mustern induzierter und evozierter Oszillationen.
Technische Universität Darmstadt
Dissertation, Erstveröffentlichung

Kurzbeschreibung (Abstract)

Für ein besseres Verständnis der kortikalen Informationsverarbeitung ist es wichtig, die funktionelle Konnektivität der an der Lösung einer Aufgabe beteiligten Areale zu kennen. Eine Möglichkeit funktionelle Konnektivität zu untersuchen, besteht in der Analyse raum-zeitlicher Aktivierungsmuster. Aus der Aktivierungsabfolge der beteiligten Areale kann unter bestimmten Annahmen, die Richtung des Informationsflusses zwischen diesen Arealen hergeleitet werden. In dieser Arbeit wurden evozierte und induzierte Gammaoszillationen gemessen und analysiert. Aufgrund des, relativ zum Zeitpunkt einer visuellen Stimulation, festen Phasenbezugs der evozierten Oszillationen wird vermutet, dass sie Bottom-Up Prozesse repräsentieren und stehen daher wahrscheinlich mit einer durch die kortikale Hierarchie vorwärtsgerichteten Informationsübertragung im Zusammenhang Im Gegensatz dazu zeigen die häufig länger anhaltenden, visuell induzierten Oszillationen generell längere Latenzen und keinen festen Phasenbezug zum Reiz. Diese Oszillationen zeigen häufig eine Modulation ihrer Amplitude durch Top-Down Prozesse. Bei dieser Art der kortikalen Verarbeitung beeinflusst interne vorhandene Information, z.B. Gedächtnisinhalte oder selektive Aufmerksamkeitssteuerung, maßgeblich die Perzeption. Da die Areale, die mit der Verarbeitung dieser internen Information in Zusammenhang gebracht werden, eher höherer in der kortikalen Hierarchie stehen, lässt sich vermuten, dass bei Top-Down Prozeesen rückwärtsgerichtete Informationsübertragung eine wichtige Rolle spielt. Ausgehend von dieser Hypothese wurden die experimentellen Voraussagen überprüft, dass evozierte Oszillationen einen, von visuellen zu parietalen und schließlich frontalen Arealen ansteigenden, Latenzgradienten aufweisen sollten. Induzierte Oszillationen sollten dann gemäß der Hypothese die kürzesten Latenzen in frontalen oder parietalen und die längsten Latenzen in den okzipitalen Arealen aufweisen. Um diese Vorhersagen zu testen, wurden die Latenzgradienten des, von bis zu 21 simultan abgeleiteten Elektroden, transkortikalen Feldpotentials vermessen. Die Elektroden waren bei drei Affen chronisch in visuelle, parietale, somatosensorische und motorische Areale implantiert worden. Die Affen waren auf die Durchführung einer komplexen Visuo-Motor-Integrations-Aufgabe trainiert worden, bei der sie die Bewegungsrichtung und -geschwindigkeit eines sinusoidalen Balkenmusters in eine von fünf verschiedenen Hebelpositionen umsetzen mussten. Der Latenzgradient oszillatorischer Antworten wurde im visuell evozierte Potential (VEP), im Einzeldurchgang sowie in der sog. Single Trial Evoked Response (STER) berechnet. Die STER ist das Produkt einer, in dieser Arbeit entwickelten, Analysemethode, die auf der Anwedung eines Phasenfilters, dem die Statistik der Phasenverteilung ueber die Einzeldurchgaenge zu Grunde liegt, basiert. Im VEP wiesen Oszillationen im hohen Gammabereich (60 – 95 Hz) einen Latenzgradienten von okzipitalen über parietale hin zu frontalen Arealen auf. Im Frequenzbereich unter 60 Hz (20 – 55 Hz) zeigte sich jedoch ein Latenzgradient von parietalen Arealen hin zu frontalen und okzipitalen Arealen. Damit scheinen Oszillationen im VEP zwei unterschiedliche Richtungen des Informationsflusses zu unterstützen bzw. zu repräsentieren. Da sich die evozierten niederfrequenten Oszillationen als erstes in BA5 zeigten und von dort aus in die anderen Areale propagierten schlossen wir, dass es sich um thalamische Eingänge nach BA5 handeln könnte. Im Kontext der Verhaltensaufgabe, welche multisensorische Integration erforderte, könnte es sich bei den beobachteten niederfrequenten Oszillationen um die neuronale Signatur multisensorischer Prozesse handelte, deren Ergebnisse in frühe sensorische Areale übertragen wurden, um einkommende Information in den richtigen globalen, multisensorischen Kontext setzen zu können. Die hochfrequenten Oszillationen hingegen zeigten zwar einen FF Latenzgradienten, waren jedoch nicht durch Stimulusparameter moduliert. Angelehnt an das sogenannte Match-and-Utilization-Modell, schlussfolgerten wir, dass hochfrequenten Oszillationen im VEP durch einen Abgleich zwischen vorhandenen Gedächtnisinhalten bzw. Erwartungen und den sensorischen Eingängen entstehen. Die STER zeigte im gesamten analysierten Frequenzbereich eine deutliche, von den visuellen Arealen ausgehende, Aktivierungsabfolge. Nach den visuellen Arealen zeigten zunächst parietale und schließlich frontale Areale oszillatorische Aktivität. Somit scheint die STER eher FF Stimulusprozessierung zu entsprechen. Zudem wurde ein Latenzunterschied zwischen den tiefen und den hohen Frequenzen beobachtet, welcher ein Hinweis darauf sein könnte, dass die früh auftretenden langsamen Oszillationen eher den Informationstransfer zwischen den Arealen und die spät auftretenden schnelleren Oszillationen eher die lokalen Prozesse repräsentieren. Induzierte Gammaoszillationen traten in allen abgeleiteten Arealen nahezu gleichzeitig auf. Somit ist es nicht möglich, dass diese Art der Oszillationen von Areal zu Areal propagierte. Vielmehr vermuten wir, dass ein zentrales Areal für eine zeitgleiche Modulierung der Reizverarbeitung verantwortlich ist. Zwei Areale, die für diese Aufgabe in Frage kämen, sind der Nukleus basalis Meynert und das Pulvinar. Ähnlich der STER zeigten auch die induzierten Oszillationen einen Latenzunterschied zwischen den oberen und dem unteren analysierten Frequenzbereich. Möglicherweise führen die tiefer frequenten Oszillationen zu den, von der Communication-Through-Coherence-Hypothese vermuteten, Zeitfenstern erleichterter und erschwerter Kommunikation. Die schnelleren Oszillationen würden dann, ähnlich wie wir es für die schnellen Oszillationen der STER vermuten, die lokale Prozessierung repräsentieren.

Typ des Eintrags: Dissertation
Erschienen: 2011
Autor(en): Gotthardt, Sascha
Art des Eintrags: Erstveröffentlichung
Titel: Neurophysiologische Studien zu raum-zeitlichen Mustern induzierter und evozierter Oszillationen
Sprache: Deutsch
Referenten: Galuske, Prof. Dr. Ralf A. W. ; Munk, Priv. Doz. Matthias H. J.
Publikationsjahr: 19 August 2011
Datum der mündlichen Prüfung: 3 September 2010
URL / URN: urn:nbn:de:tuda-tuprints-27256
Kurzbeschreibung (Abstract):

Für ein besseres Verständnis der kortikalen Informationsverarbeitung ist es wichtig, die funktionelle Konnektivität der an der Lösung einer Aufgabe beteiligten Areale zu kennen. Eine Möglichkeit funktionelle Konnektivität zu untersuchen, besteht in der Analyse raum-zeitlicher Aktivierungsmuster. Aus der Aktivierungsabfolge der beteiligten Areale kann unter bestimmten Annahmen, die Richtung des Informationsflusses zwischen diesen Arealen hergeleitet werden. In dieser Arbeit wurden evozierte und induzierte Gammaoszillationen gemessen und analysiert. Aufgrund des, relativ zum Zeitpunkt einer visuellen Stimulation, festen Phasenbezugs der evozierten Oszillationen wird vermutet, dass sie Bottom-Up Prozesse repräsentieren und stehen daher wahrscheinlich mit einer durch die kortikale Hierarchie vorwärtsgerichteten Informationsübertragung im Zusammenhang Im Gegensatz dazu zeigen die häufig länger anhaltenden, visuell induzierten Oszillationen generell längere Latenzen und keinen festen Phasenbezug zum Reiz. Diese Oszillationen zeigen häufig eine Modulation ihrer Amplitude durch Top-Down Prozesse. Bei dieser Art der kortikalen Verarbeitung beeinflusst interne vorhandene Information, z.B. Gedächtnisinhalte oder selektive Aufmerksamkeitssteuerung, maßgeblich die Perzeption. Da die Areale, die mit der Verarbeitung dieser internen Information in Zusammenhang gebracht werden, eher höherer in der kortikalen Hierarchie stehen, lässt sich vermuten, dass bei Top-Down Prozeesen rückwärtsgerichtete Informationsübertragung eine wichtige Rolle spielt. Ausgehend von dieser Hypothese wurden die experimentellen Voraussagen überprüft, dass evozierte Oszillationen einen, von visuellen zu parietalen und schließlich frontalen Arealen ansteigenden, Latenzgradienten aufweisen sollten. Induzierte Oszillationen sollten dann gemäß der Hypothese die kürzesten Latenzen in frontalen oder parietalen und die längsten Latenzen in den okzipitalen Arealen aufweisen. Um diese Vorhersagen zu testen, wurden die Latenzgradienten des, von bis zu 21 simultan abgeleiteten Elektroden, transkortikalen Feldpotentials vermessen. Die Elektroden waren bei drei Affen chronisch in visuelle, parietale, somatosensorische und motorische Areale implantiert worden. Die Affen waren auf die Durchführung einer komplexen Visuo-Motor-Integrations-Aufgabe trainiert worden, bei der sie die Bewegungsrichtung und -geschwindigkeit eines sinusoidalen Balkenmusters in eine von fünf verschiedenen Hebelpositionen umsetzen mussten. Der Latenzgradient oszillatorischer Antworten wurde im visuell evozierte Potential (VEP), im Einzeldurchgang sowie in der sog. Single Trial Evoked Response (STER) berechnet. Die STER ist das Produkt einer, in dieser Arbeit entwickelten, Analysemethode, die auf der Anwedung eines Phasenfilters, dem die Statistik der Phasenverteilung ueber die Einzeldurchgaenge zu Grunde liegt, basiert. Im VEP wiesen Oszillationen im hohen Gammabereich (60 – 95 Hz) einen Latenzgradienten von okzipitalen über parietale hin zu frontalen Arealen auf. Im Frequenzbereich unter 60 Hz (20 – 55 Hz) zeigte sich jedoch ein Latenzgradient von parietalen Arealen hin zu frontalen und okzipitalen Arealen. Damit scheinen Oszillationen im VEP zwei unterschiedliche Richtungen des Informationsflusses zu unterstützen bzw. zu repräsentieren. Da sich die evozierten niederfrequenten Oszillationen als erstes in BA5 zeigten und von dort aus in die anderen Areale propagierten schlossen wir, dass es sich um thalamische Eingänge nach BA5 handeln könnte. Im Kontext der Verhaltensaufgabe, welche multisensorische Integration erforderte, könnte es sich bei den beobachteten niederfrequenten Oszillationen um die neuronale Signatur multisensorischer Prozesse handelte, deren Ergebnisse in frühe sensorische Areale übertragen wurden, um einkommende Information in den richtigen globalen, multisensorischen Kontext setzen zu können. Die hochfrequenten Oszillationen hingegen zeigten zwar einen FF Latenzgradienten, waren jedoch nicht durch Stimulusparameter moduliert. Angelehnt an das sogenannte Match-and-Utilization-Modell, schlussfolgerten wir, dass hochfrequenten Oszillationen im VEP durch einen Abgleich zwischen vorhandenen Gedächtnisinhalten bzw. Erwartungen und den sensorischen Eingängen entstehen. Die STER zeigte im gesamten analysierten Frequenzbereich eine deutliche, von den visuellen Arealen ausgehende, Aktivierungsabfolge. Nach den visuellen Arealen zeigten zunächst parietale und schließlich frontale Areale oszillatorische Aktivität. Somit scheint die STER eher FF Stimulusprozessierung zu entsprechen. Zudem wurde ein Latenzunterschied zwischen den tiefen und den hohen Frequenzen beobachtet, welcher ein Hinweis darauf sein könnte, dass die früh auftretenden langsamen Oszillationen eher den Informationstransfer zwischen den Arealen und die spät auftretenden schnelleren Oszillationen eher die lokalen Prozesse repräsentieren. Induzierte Gammaoszillationen traten in allen abgeleiteten Arealen nahezu gleichzeitig auf. Somit ist es nicht möglich, dass diese Art der Oszillationen von Areal zu Areal propagierte. Vielmehr vermuten wir, dass ein zentrales Areal für eine zeitgleiche Modulierung der Reizverarbeitung verantwortlich ist. Zwei Areale, die für diese Aufgabe in Frage kämen, sind der Nukleus basalis Meynert und das Pulvinar. Ähnlich der STER zeigten auch die induzierten Oszillationen einen Latenzunterschied zwischen den oberen und dem unteren analysierten Frequenzbereich. Möglicherweise führen die tiefer frequenten Oszillationen zu den, von der Communication-Through-Coherence-Hypothese vermuteten, Zeitfenstern erleichterter und erschwerter Kommunikation. Die schnelleren Oszillationen würden dann, ähnlich wie wir es für die schnellen Oszillationen der STER vermuten, die lokale Prozessierung repräsentieren.

Alternatives oder übersetztes Abstract:
Alternatives AbstractSprache

For a better understanding of cortical information processing it is important to know the functional connectivity of the areas participating in a given task. One way to examine functional connectivity is the analysis of spatio-temporal activation patterns. Under certain assumptions it is possible to derive the direction of information flow between areas from their sequence of activation. In this thesis, I measured and analysed evoked and induced gamma oscillations. Since evoked oscillations exhibiting a fixed phase relation to the onset of visual stimulus, it is assumed that they represent bottom-up processes and therefore are likely to be related to a feedforward information transfer. In contrast, the often long-lasting, visually induced oscillations exhibit generally longer latencies and they don’t show a fixed phase relationship to a stimulus-onset. The amplitude of these oscillations is frequently modulated by top-down processes. In this type of cortical processing, existing internal information, e.g. memory contents or selective attention, has a strong influence on perception. Since areas connected with processing of internal information are rather high in the cortical hierarchy, it is plausible to assume that feedback information transfer plays a crucial role in top-down processing In this thesis I verified the experimental predictions, that evoked oscillations should show a latency gradient from occipital to parietal and frontal areas and induced oscillations show a reversed latency gradient. In order to do so, latency gradients of transcortical field potential (TFP) oscillations were simultaneously measured from up to 21 electrodes. The electrodes were implanted chronically in three monkeys in visual, parietal, somatosensory and motor areas. The monkeys were trained on a complex visual-motor integration task. They had to identify the movement direction and speed of a sinusoidal grating and move a lever in an associated position. Latency gradients were measured of single trials, of visually evoked potentials (VEP) and of single trial evoked responses (STER). The latter one is the result of a newly developed method based upon a phase filter which is derived from the phase statistics of single trials. VEP oscillations in the high gamma range (60 - 95 Hz) showed a latency gradient from occipital to parietal and finally to frontal areas. However in the frequency range below 60 Hz (20 - 55 Hz) they exhibited a latency gradient from parietal to frontal and occipital areas. Since low-frequency oscillations were evoked first in BA5, we concluded thalamic inputs to BA5 are likely candidates for those oscillations. In respect of the task, in which multisensory integration is required, the observed low-frequency oscillations might be the neural signatures of multisensory processes influencing early sensory areas in order to process incoming information in a global multisensory context. High frequency oscillations showed a feedforward gradient but were not modulated by stimulus parameters. Inspired by the so-called match-and-utilization model, we concluded that high-frequency oscillations occur in VEPs by a comparison between expectations or existing memory contents and sensory inputs. The STER showed a different spatio-temporal pattern throughout the analysed frequency range. STER oscillations emerged early in visual areas followed by activity in parietal areas and finally in frontal areas. Thus, STER seems to correspond more to feedforward stimulus processing. In addition, a latency difference between the low and high frequencies was observed, which could indicate that early slow oscillations represent information transfer between areas and late high frequency oscillation oscillations represent local processes. Induced oscillations emerged in all areas at almost the same time. Therefore, it is not possible that this type of oscillations propagated from area to area .We suggest that a central site, e.g. nucleus basalis of Meynert or the Pulvinar, is responsible for this simultaneous modulation of stimulus processing. Similar to STER, induced oscillations showed a latency difference between the upper and the lower analysed frequency range. In light of the Communication-through-coherence-hypothesis, low frequency oscillations might be involved in setting up time windows of facilitated neuronal communication while fast induced oscillations might represent the following local processing.

Englisch
Freie Schlagworte: Induzierte Oszillationen, evozierte Oszillationen, Latenzgradient, Multisensorisch, Macaca fascicularis
Schlagworte:
Einzelne SchlagworteSprache
Induced oscillations, evoked oscillations, latency gradient, multisensory, macaca fascicularisEnglisch
Sachgruppe der Dewey Dezimalklassifikatin (DDC): 500 Naturwissenschaften und Mathematik > 570 Biowissenschaften, Biologie
Fachbereich(e)/-gebiet(e): 10 Fachbereich Biologie > Systemische Neurophysiologie
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10 Fachbereich Biologie
Hinterlegungsdatum: 30 Aug 2011 11:41
Letzte Änderung: 05 Mär 2013 09:54
PPN:
Referenten: Galuske, Prof. Dr. Ralf A. W. ; Munk, Priv. Doz. Matthias H. J.
Datum der mündlichen Prüfung / Verteidigung / mdl. Prüfung: 3 September 2010
Schlagworte:
Einzelne SchlagworteSprache
Induced oscillations, evoked oscillations, latency gradient, multisensory, macaca fascicularisEnglisch
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