Der anthropogen bedingte rasche Biodiversitätsverlust ist einer der dramatischsten Aspekte des globalen Wandels, der Bedenken über die Konsequenzen für Ökosystemprozesse ausgelöst hat. Während der letzten zwei Jahrzehnte ist die Erforschung der Zusammenhänge zwischen Biodiversität und Ökosystemprozessen zunehmend in den wissenschaftlichen Fokus gerückt. Die Mehrzahl an Biodiversitätsexperimenten wurde in temperierten Grasländern durchgeführt, untersuchte dabei allerdings eine begrenzte Anzahl an Ökosystemprozessen, wie zum Beispiel oberirdische Produktivität. Ober- und unterirdische Ökosystem-komponenten wurden bisher meist unabhängig voneinander untersucht. Dabei ignorierte man die fundamentale Rolle von ober- und unterirdischen Rückkopplungsprozessen zum Verständnis der Folgen von Biodiversitätsverlust. Obwohl das Zersetzersystem elementare Ökosystemprozesse steuert, hat es in bisherigen Biodiversitätsexperimenten wenig Beachtung gefunden. Die Bodenfauna lenkt Nährstoffkreisläufe, den Umsatz von organischem Material und die Charakteristik der Bodenstruktur, welches ausnahmslos Schlüsselprozesse für die Produktivität und den Kohlenstoffspeicher darstellen. Regenwürmer dominieren die Invertebratenbiomasse in zahlreichen terrestrischen Ökosystemen und stellen dabei die wichtigste Zersetzergruppe dar, indem sie das gesamte Bodensystem strukturieren und das oberirdische System direkt und indirekt beeinflussen. Das Design des Jena-Experimentes bietet die einzigartige Gelegenheit, den Zusammenhang zwischen Biodiversität und Ökosystemprozessen bei simultaner Manipulation von trophischen Interaktionen zu untersuchen. Dabei ist zum ersten Mal die Betrachtung der Konsequenzen von anthropogen bedingtem Biodiversitätsverlust unter Einbeziehung der Zusammenhänge zwischen Pflanzengemeinschaften und tierischen Ökosystem-Ingenieuren möglich. Im Rahmen meiner Promotion führte ich zwei Feld- und vier Gewächshausexperimente durch, um die wichtigsten direkten und indirekten mechanistischen Zusammenhänge zwischen Regenwürmern und verschieden diversen Pflanzengemeinschaften zu erforschen. Ziel des ersten Gewächshausexperimentes war es, den Einfluss von Regenwürmern auf die Konkurrenz zwischen Gräsern und Leguminosen zu quantifizieren, um die ökologischen Mechanismen zu verstehen, welche die in der Landwirtschaft weit verbreiteten Kleegrasmischungen strukturieren. Dafür wurden Pflanzengemeinschaften in Mikrokosmen etabliert, welche an zwei Terminen geerntet wurden, um ein gebräuchliches Mahdregime in europäischen Grasländern zu simulieren. Nach sechs Wochen war die oberirdische Biomasse von Gräsern und Leguminosen in Anwesenheit von Lumbricus terrestris L. erhöht, wobei nach zehn Wochen nur eine erhöhte Grasbiomasse registriert wurde. Die Analyse der Stickstoffisotope zeigte, dass im Gegensatz zu Leguminosen Gräser mineralischen Stickstoff im Boden effektiv aufnehmen. Gräser profitieren von der Anwesenheit von Leguminosen durch eine reduzierte „intra-funktionelle“ Konkurrenz. Regenwürmer verändern die Konkurrenzsituation zwischen Gräsern und Leguminosen, indem sie Stickstoff im Boden mobilisieren und dadurch die Konkurrenzkraft der Gräser stärken. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass Regenwürmer als fundamentale Steuergrößen der oberirdischen Gemeinschaft fungieren, indem sie den Ertrag und die Güte von Grasgemeinschaften erhöhen, die Befallsrate von Gräsern durch Blattläuse erhöhen und wahrscheinlich die Attraktivität von Kleegrasmischungen für Bestäuber durch eine geringere Anzahl an Blüten reduzieren. Das zweite Gewächshausexperiment untersuchte die Einflüsse von drei scheinbar anözischen Regenwurmarten auf das Vergraben von Weizensamen, die Etablierung von Keimlingen, das Weizenwachstum und die Einarbeitung von Streu in den Boden. Im Gegensatz zu Aporrectodea longa Ude, reduzierten L. terrestris und Lumbricus rubellus friendoides Bouché die Streuschicht und vergruben mehr Weizensamen. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass sich anözische Regenwurmarten wesentlich in ihrem Einfluss auf die Einarbeitung von Streu und Samen in den Boden und auf die Etablierung von Keimlingen unterscheiden. Die Effekte von L. terrestris und L. rubellus friendoides entsprechen denen anözischer Regenwürmer, wohingegen diejenigen von A. longa eher endogäischen Eigenschaften entsprechen. Das dritte Gewächshausexperiment untersuchte die Effekte von L. terrestris, der Zugehörigkeit zu bestimmten funktionellen Pflanzengruppen und der Samengröße von Pflanzeneinwanderern und funktioneller Identität der etablierten Pflanzengemeinschaft auf die Anzahl und die Biomasse etablierter Einwandererpflanzen. Die Regenwurmbiomasse wurde von einer Interaktion zwischen der funktionellen Identität der etablierten Pflanzengemeinschaft und derjenigen der Pflanzeneinwanderer beeinflusst. Da der Effekt von Regenwürmern auf die Anzahl und Biomasse der etablierten Pflanzeneinwanderern von der Samengröße und der funktionellen Identität der Pflanzensamen abhängt, spielen sie wahrscheinlich eine entscheidende Rolle während der Etablierung von Keimlingen und steuern die Zusammensetzung der Pflanzengemeinschaft. Samen und Keimlinge sind vermutlich ein bedeutender Bestandteil der Ernährung von Regenwürmern. Die erste Feldstudie untersuchte, ob Regenwürmer die Stabilität und Einwanderungs-anfälligkeit von Pflanzengemeinschaften unterschiedlicher Diversität verändern. Dafür wurden experimentelle Teilflächen, die sich in ihrer Regenwurmdichte unterschieden, gejätet und Einwandererpflanzen identifiziert, gezählt und gewogen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Stabilität von Pflanzengemeinschaften mit steigernder Diversität zunimmt. Das lag primär an der erhöhten Wahrscheinlichkeit der Präsenz von Gräsern in der Pflanzengemeinschaft. Die Anzahl und Biomasse von L. terrestris wurde hauptsächlich von der Anwesenheit bestimmter funktionellen Pflanzengruppen (Gräser und Leguminosen) beeinflusst, nicht aber von der Diversität der Pflanzengemeinschaft an sich. Indem Regenwurmdichten erfolgreich im Feld manipuliert wurden, konnte zum ersten Mal gezeigt werden, dass Regenwürmer die Ausbreitung von Samen und die Keimlingsetablierung beeinflussen. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass die Stabilität und Einwanderungsanfälligkeit von Pflanzengemeinschaften von der komplexen Interaktion zwischen Diversität, funktioneller Identität, struktureller Komplexität der Pflanzengemeinschaft und Ökosystemingenieuren, wie z.B. anözischen Regenwürmern, abhängen. Das vierte Gewächshausexperiment untersuchte die direkten und indirekten Auswirkungen von endogäischen Regenwurmarten auf Pflanzensamen von Graslandarten. Die Ergebnisse zeigten, dass das Verschlucken und Verdauen von Samen und die Keimungsrate in Anwesenheit von Regenwurmexkreten von der Regenwurm- und der Pflanzenart abhängen. Das Verschlucken durch Regenwürmer hat vermutlich einen starken Einfluss auf das Überleben und die Keimungsrate von Pflanzensamen, da manche Samen während der Darmpassage verdaut wurden, während andere danach eine erhöhte Keimungsrate zeigten. Die Ergebnisse dieses Experimentes deuten darauf hin, dass der selektive Samenfraß und die artspezifische Verdauung von Pflanzensamen durch endogäische Regenwürmer die Zusammensetzung der Samenbank und damit die Beschaffenheit der Pflanzengemeinschaft fundamental beeinflussen können. Eine zweite Feldstudie untersuchte die Effizienz der elektrischen Oktettmethode und der Senfmethode zur Extraktion von Regenwürmern unterschiedlicher ökologischer Gruppen bei trockenen Bodenverhältnissen. Es wurde gezeigt, dass die Senfmethode effizienter anözische Regenwürmer extrahiert, während die Oktettmethode ungeeignet ist, um unter trockenen Bedingungen die tatsächliche Struktur der Regenwurmgemeinschaft darzustellen. Die Effizienz beider Methoden kann nicht durch vorherige Wasserzugabe verbessert werden. Darüber hinaus betont diese Studie, dass sich Regenwürmer aus verschiedenen ökologischen Gruppen in ihrem Verhalten drastisch unterscheiden. Im Gegensatz zu endogäischen Arten bleiben anözische Regenwürmer auch während trockener Perioden aktiv. Zusammenfassend hat die vorliegende Arbeit aufgezeigt, dass Regenwürmer nicht von der Diversität der Pflanzengemeinschaft abhängen. Sie werden eher von der Anwesenheit nährstoffreicher Ressourcen beeinflusst, welche vor allem von Leguminosen bereitgestellt werden. Es wurde gezeigt, dass Effekte von Regenwürmern auf das oberirdische System sehr facettenreich sind. Dabei konnten vier fundamentale Mechanismen identifiziert werden. Erstens fungieren (anözische) Regenwürmer als wichtige Zersetzer, indem sie die Nährstoffverfügbarkeit und damit die Konkurrenz zwischen Pflanzen steuern. Zweitens sind (anözische) Regenwürmer entscheidende Ökosystemingenieure, indem sie Strukturen (Auswürfe) schaffen, die als kleinräumige Störungen und Regenerationsnischen für Keimlinge fungieren. Dadurch können Regenwürmer die Diversität von Pflanzengemeinschaften erhöhen. Drittens wirken Regenwürmer als wichtige Samenvektoren, indem sie Samen vergraben, verschlucken und teilweise wieder ausscheiden. Das Vergraben von Samen stellt wahrscheinlich einen essentiellen Mechanismus dar, der das Überleben von bestimmten Pflanzenarten erhöht. Das ist in trockenen Perioden von besonderer Bedeutung, in denen die Samenreifung und –ausbreitung stattfindet und L. terrestris ebenfalls aktiv ist. Viertens beeinflussen Regenwürmer die Zusammensetzung der Pflanzengemeinschaft direkt, indem sie als selektive Granivore auftreten. Die vorliegende Arbeit betont durch ihren kombinierten Ansatz der Untersuchung ober- und unterirdischer Systeme deren enge Verknüpfung und unterstreicht die Notwenidigkeit der Berücksichtigung beider Systeme bei der Interpretation, Abschätzung und Modellierung von anthropogen bedingten weltweiten Umweltveränderungen. | Deutsch |