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Struktur und Dynamik kritischer boolescher Zufallsnetzwerke als Modelle der genetischen Regulation

Kaufman, Viktor (2007)
Struktur und Dynamik kritischer boolescher Zufallsnetzwerke als Modelle der genetischen Regulation.
Technische Universität Darmstadt
Dissertation, Erstveröffentlichung

Kurzbeschreibung (Abstract)

Das XXI Jahrhundert wird wahrscheinlich im Zeichen der Erforschung der lebenden Materie stehen. Von rapide steigenden Aktivitäten auf diesem Gebiet zeugen die 260 vollständig sequenzierten und 1100 sich in Arbeit befindenden Genome (Stand März 2005). Von der Struktur der Genome zur Funktion der Organismen liegt ein langer Weg. Immense Datenmengen suchen ihre Erforscher, während die Komplexität der Organismen nicht annähernd erfasst ist. Ein Lichtblick in diesem Wirrwarr verspricht die Einsicht, dass universelle, von den biochemischen und anderen Details unabhängige Mechanismen diese Komplexität erzeugen. Das Aufstellen und die Analyse der entsprechenden Modelle haben unter anderem das Interesse der Physiker geweckt. In dieser Arbeit beschäftige ich mich mit einem der ältesten und zugleich erfolgreichsten generischen dynamischen Modelle der für das komplexe Verhalten von Organismen maßgeblichen genetischen Regulation. Gemeint ist das deterministische Modell der booleschen Zufallsnetzwerke (RBN) mit zwei eingehenden Verbindungen und einer booleschen Funktion pro Knoten. Die Knoten repräsentieren die Gene, die entweder aktiv oder inaktiv sein können, die Verbindungen repräsentieren die Genregulationen, der Zustand des Netzwerks beschreibt das momentane Aktivitätsmuster. Das Modell befindet sich bei einer bestimmten Wahl der Funktionen am kritischen Punkt. An diesem Punkt wirkt sich eine lokale Zustandsänderung im Mittel auf eine nicht trivial mit der Netzwerkgröße skalierende Anzahl der Knoten aus. Folglich reagiert das Netzwerk empfindlich auf Änderungen, ist aber schon deswegen geordnet und nicht chaotisch, weil Änderungen nicht alle Knoten betreffen. Man spricht von der Ordnung an der Grenze zum Chaos. Um dieses biologisch interessante Verhalten zu zeigen, müssen die Knoten, gegebenenfalls erst im Laufe der Dynamik, nach ihrer Beteiligung an der Ausbildung der Attraktoren der Dynamik unterschieden werden können. Eine gewisse Struktur muss für das Modell charakteristisch sein. Es war das Hauptziel dieser Arbeit, die Dynamik der kritischen RBN mit zwei Eingängen pro Knoten im Grenzfall großer Netzwerke zu verstehen, insbesondere die Struktur zu untersuchen und damit verbundene Folgerungen für die Dynamik zu identifizieren. Nach einem Überblick über das Thema der booleschen Modelle und der Modellierung der genetischen Regulation wird im ersten Teil dieser Arbeit die Struktur der kritischen RBN untersucht. Die Beschreibung der Struktur hat sich als der Heilige Gral für ein intuitives Verständnis des Modells erwiesen. Viele dynamische Eigenschaften, die in der Literatur seit Langem mit mäßigem Erfolg numerisch untersucht wurden, lassen sich direkt aus den Strukturkenntnissen folgern. Zu den wichtigsten strukturellen Erkenntnissen gehören die analytischen Ergebnisse für so genannte relevante Knoten. Unter allen Knoten bestimmen die relevanten Knoten die Dynamik. Für sie werden unter anderem die Anzahl und die Wahrscheinlichkeitsverteilung bestimmt. Man findet Universalität im Skalenverhalten mit der Netzwerkgröße. Dabei kommen Methoden der statistischen Physik und der mathematischen Statistik zum Einsatz. Relevante Knoten sind in unabhängige relevante Komponenten organisiert. Die einfacheren relevanten Komponenten können losgelöst vom Netzwerkensemble betrachtet werden. Sie sind interessant, weil sie als generische Modelle der echten genetischen regulatorischen Teilnetzwerke oder als Bausteine der komplexeren Netzwerke angesehen werden können. Ihre relativen Gewichte und Verteilungen im Netzwerkensemble der kritischen RBN werden bestimmt. Biologisch relevanten kanalisierenden Netzwerken kommt viel Aufmerksamkeit zu. Es stellt sich heraus, dass sie in fast jeder Hinsicht einen Spezialfall der kritischen RBN bilden. Im zweiten Teil der Arbeit wird die Dynamik der kritischen RBN unter die Lupe genommen. Zuerst werden charakteristische Verhaltensmuster in den einfacheren Netzwerkkomponenten gefunden. Es zeigt sich anschließend, dass bereits einfache Komponenten sehr viele sehr lange Attraktoren haben und damit ein sehr kompliziertes Verhalten zeigen. Es verwundert dann nicht, dass man mit Hilfe der Erkenntnisse aus dem ersten Teil der Arbeit für die allgemeinen kritischen Netzwerke folgert, dass ihre mittlere Anzahl und Länge der Attraktoren mit der Netzwerkgröße exponentiell ansteigt. Numerische Simulationen werden daraufhin untersucht, diese und andere Eigenschaften zuverlässig wiedergeben zu können. Eine möglicherweise triviale Einsicht aus dieser Arbeit besteht darin, dass es sinnvoll ist, komplexe Systeme im Bezug auf das Zusammenspiel der Struktur und Dynamik mit Hilfe einer passenden Kombination der analytischen und numerischen Methoden zu studieren. Auf jeden Fall führt diese Strategie zum intuitiven Verständnis des RBN - Modells aus dem Jahr 1969. Dieses Modell hat seinen Platz in vielen Wissenschaftszweigen gefunden. Im biologischen Kontext kann es generisch Vorgänge wie Zelldifferenzierung, Multistabilität, Oszillation, Homöostase, Signaltransduktion und andere beschreiben.

Typ des Eintrags: Dissertation
Erschienen: 2007
Autor(en): Kaufman, Viktor
Art des Eintrags: Erstveröffentlichung
Titel: Struktur und Dynamik kritischer boolescher Zufallsnetzwerke als Modelle der genetischen Regulation
Sprache: Deutsch
Referenten: Porto, Prof.Dr. Markus
Berater: Drossel, Prof.Dr. Barbara
Publikationsjahr: 16 Oktober 2007
Ort: Darmstadt
Verlag: Technische Universität
Datum der mündlichen Prüfung: 11 Dezember 2006
URL / URN: urn:nbn:de:tuda-tuprints-8809
Kurzbeschreibung (Abstract):

Das XXI Jahrhundert wird wahrscheinlich im Zeichen der Erforschung der lebenden Materie stehen. Von rapide steigenden Aktivitäten auf diesem Gebiet zeugen die 260 vollständig sequenzierten und 1100 sich in Arbeit befindenden Genome (Stand März 2005). Von der Struktur der Genome zur Funktion der Organismen liegt ein langer Weg. Immense Datenmengen suchen ihre Erforscher, während die Komplexität der Organismen nicht annähernd erfasst ist. Ein Lichtblick in diesem Wirrwarr verspricht die Einsicht, dass universelle, von den biochemischen und anderen Details unabhängige Mechanismen diese Komplexität erzeugen. Das Aufstellen und die Analyse der entsprechenden Modelle haben unter anderem das Interesse der Physiker geweckt. In dieser Arbeit beschäftige ich mich mit einem der ältesten und zugleich erfolgreichsten generischen dynamischen Modelle der für das komplexe Verhalten von Organismen maßgeblichen genetischen Regulation. Gemeint ist das deterministische Modell der booleschen Zufallsnetzwerke (RBN) mit zwei eingehenden Verbindungen und einer booleschen Funktion pro Knoten. Die Knoten repräsentieren die Gene, die entweder aktiv oder inaktiv sein können, die Verbindungen repräsentieren die Genregulationen, der Zustand des Netzwerks beschreibt das momentane Aktivitätsmuster. Das Modell befindet sich bei einer bestimmten Wahl der Funktionen am kritischen Punkt. An diesem Punkt wirkt sich eine lokale Zustandsänderung im Mittel auf eine nicht trivial mit der Netzwerkgröße skalierende Anzahl der Knoten aus. Folglich reagiert das Netzwerk empfindlich auf Änderungen, ist aber schon deswegen geordnet und nicht chaotisch, weil Änderungen nicht alle Knoten betreffen. Man spricht von der Ordnung an der Grenze zum Chaos. Um dieses biologisch interessante Verhalten zu zeigen, müssen die Knoten, gegebenenfalls erst im Laufe der Dynamik, nach ihrer Beteiligung an der Ausbildung der Attraktoren der Dynamik unterschieden werden können. Eine gewisse Struktur muss für das Modell charakteristisch sein. Es war das Hauptziel dieser Arbeit, die Dynamik der kritischen RBN mit zwei Eingängen pro Knoten im Grenzfall großer Netzwerke zu verstehen, insbesondere die Struktur zu untersuchen und damit verbundene Folgerungen für die Dynamik zu identifizieren. Nach einem Überblick über das Thema der booleschen Modelle und der Modellierung der genetischen Regulation wird im ersten Teil dieser Arbeit die Struktur der kritischen RBN untersucht. Die Beschreibung der Struktur hat sich als der Heilige Gral für ein intuitives Verständnis des Modells erwiesen. Viele dynamische Eigenschaften, die in der Literatur seit Langem mit mäßigem Erfolg numerisch untersucht wurden, lassen sich direkt aus den Strukturkenntnissen folgern. Zu den wichtigsten strukturellen Erkenntnissen gehören die analytischen Ergebnisse für so genannte relevante Knoten. Unter allen Knoten bestimmen die relevanten Knoten die Dynamik. Für sie werden unter anderem die Anzahl und die Wahrscheinlichkeitsverteilung bestimmt. Man findet Universalität im Skalenverhalten mit der Netzwerkgröße. Dabei kommen Methoden der statistischen Physik und der mathematischen Statistik zum Einsatz. Relevante Knoten sind in unabhängige relevante Komponenten organisiert. Die einfacheren relevanten Komponenten können losgelöst vom Netzwerkensemble betrachtet werden. Sie sind interessant, weil sie als generische Modelle der echten genetischen regulatorischen Teilnetzwerke oder als Bausteine der komplexeren Netzwerke angesehen werden können. Ihre relativen Gewichte und Verteilungen im Netzwerkensemble der kritischen RBN werden bestimmt. Biologisch relevanten kanalisierenden Netzwerken kommt viel Aufmerksamkeit zu. Es stellt sich heraus, dass sie in fast jeder Hinsicht einen Spezialfall der kritischen RBN bilden. Im zweiten Teil der Arbeit wird die Dynamik der kritischen RBN unter die Lupe genommen. Zuerst werden charakteristische Verhaltensmuster in den einfacheren Netzwerkkomponenten gefunden. Es zeigt sich anschließend, dass bereits einfache Komponenten sehr viele sehr lange Attraktoren haben und damit ein sehr kompliziertes Verhalten zeigen. Es verwundert dann nicht, dass man mit Hilfe der Erkenntnisse aus dem ersten Teil der Arbeit für die allgemeinen kritischen Netzwerke folgert, dass ihre mittlere Anzahl und Länge der Attraktoren mit der Netzwerkgröße exponentiell ansteigt. Numerische Simulationen werden daraufhin untersucht, diese und andere Eigenschaften zuverlässig wiedergeben zu können. Eine möglicherweise triviale Einsicht aus dieser Arbeit besteht darin, dass es sinnvoll ist, komplexe Systeme im Bezug auf das Zusammenspiel der Struktur und Dynamik mit Hilfe einer passenden Kombination der analytischen und numerischen Methoden zu studieren. Auf jeden Fall führt diese Strategie zum intuitiven Verständnis des RBN - Modells aus dem Jahr 1969. Dieses Modell hat seinen Platz in vielen Wissenschaftszweigen gefunden. Im biologischen Kontext kann es generisch Vorgänge wie Zelldifferenzierung, Multistabilität, Oszillation, Homöostase, Signaltransduktion und andere beschreiben.

Alternatives oder übersetztes Abstract:
Alternatives AbstractSprache

Genetic regulation is responsible for much of the complexity in living matter. In this thesis, I study one of the oldest and most established generic dynamical models of genetic regulation. In the deterministic random Boolean network model (RBN), each node is assigned a Boolean function of its two incoming links, the nodes represent either experessed or not expressed genes, the links represent genetic regulations, the states of the network are the expression patterns. For a special choise of functions, the model is at its critical point. The networks are then both highly susceptible to local changes and structured, since some nodes are not affected by the changes. This biologically interesting behaviour is known as the edge of chaos. The main objective of this work was to understand the dynamics of critical RBN in the limit of large network sizes and to identify the dynamically developing structure of the model, together with its implications for the dynamical attractors. The thesis is divided into two parts. After an overview of Boolean models and their applications to genetic regulatory systems, the structure of critical RBN is being studied in the first part of the work. This study leads eventually to an intuitive understanding of many dynamical properties that could not be previously accessed by numerical simulations. The most important analytical structural findings concern the so called relevant nodes, which alone determine the dynamical fate of the model. They underlie a distinct universal scaling behaviour, which is being characterised using methods of statistical mechanics. Relevant nodes are organised in independent relevant components. One can study in detail simpler relevant components that both act as generic models of real genetic regulatory circuits, and form building blocks of more complex networks. I analyse, for example, their distribution in the ensemble of networks. In the second part of the work I turn to dynamical properties of the model. Simpler components show characteristic behaviour patterns. Already for simpler components, the average number and length of attractors, somewhat unexpectedly, increases exponentially with system size. The same statement holds for general critical RBN. Numerical simulations of these and other properties agree well with corresponding analytical results, albeit the simulations face serious limitations. An important insight for this work was that one has to understand interconnections between structure and dynamics in complex systems, and that a well - balanced combination of analytical and numerical methods is crucial for success. This insight leads at least for RBN to an intuitive understanding of the model, which is in the meantime widely used in many disciplines.

Englisch
Freie Schlagworte: Modell von Kauffman, RBN, Skalenverhalten, genetische Regulation, komplexe Systeme, einfache Netzwerkkomponenten, Anzahl der Attraktoren, Länge der Attraktoren, Komponentenverteilung, Universalität, Dynamisches Verhalten
Schlagworte:
Einzelne SchlagworteSprache
Kauffman model, RBN, simple Boolean networks, simple components, genetic regulation, number of attractors, length of attractors, universal scaling, dynamic behaviorEnglisch
Fachbereich(e)/-gebiet(e): 05 Fachbereich Physik
Hinterlegungsdatum: 17 Okt 2008 09:22
Letzte Änderung: 26 Aug 2018 21:25
PPN:
Referenten: Porto, Prof.Dr. Markus
Datum der mündlichen Prüfung / Verteidigung / mdl. Prüfung: 11 Dezember 2006
Schlagworte:
Einzelne SchlagworteSprache
Kauffman model, RBN, simple Boolean networks, simple components, genetic regulation, number of attractors, length of attractors, universal scaling, dynamic behaviorEnglisch
Export:
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