Spengler, Hannes (2005)
Ursachen und Kosten der Kriminalität in Deutschland.
Technische Universität Darmstadt
Dissertation, Erstveröffentlichung
Kurzbeschreibung (Abstract)
Ziel dieser Arbeit ist es, der empirischen Kriminalitätsforschung in Deutschland neue Erkenntnisse, insbesondere in Hinblick auf künftige Kosten-Nutzen-Analysen von Projekten im Bereich der Kriminalpolitik, hinzuzufügen. Kosten-Nutzen-Analysen sollten idealerweise für alle ressourcenintensive Projekten erfolgen, welche die öffentliche Hand plant, um bestimmte gesellschaftlich erwünschte Ziele zu erreichen (z.B. die Reduzierung von Kriminalität). Dies impliziert, dass vor jedem Projekt bzw. vor jeder Kosten-Nutzen-Analyse eine Beurteilung der Möglichkeiten zur Zielerreichung steht. Hat man die Wirkungskanäle identifiziert und sich für einen Instrumentenmix entschieden, geht es darum, im Rahmen der Kosten-Nutzen-Analyse zunächst den kausalen Effekt bzw. die Wirkungsstärke der Maßnahme in Hinblick auf das angestrebte Ziel zu bestimmen und sodann ihre Kosten (z.B. Kosten des vermehrten Polizeieinsatzes) und Erträge (z.B. Wert vermiedener Körperverletzungen) in einer gemeinsamen Recheneinheit (in der Regel Euro) zu quantifizieren. Vor diesem Hintergrund wenden sich die beiden ersten empirischen Kapitel (Kapitel 2 und 3) dieser Arbeit der Untersuchung der Determinanten und somit der Beeinflussungsmöglichkeiten von Kriminalität zu, und Kapitel 4 befasst sich mit der pekuniären Bewertung von (vermiedenen) Straftaten. Kapitel 2 untersucht anhand einer eigens für diese Arbeit aus Bundesländerdaten des Zeitraums 1977-2001 der Polizeilichen Kriminalstatistik und der Strafverfolgungsstatistik aufgebauten Datenbank die Wirkung des deutschen Strafverfolgungssystems auf das Aufkommen acht verschiedener Deliktgruppen. Entgegen der Auffassung weiter Teile der deutschen Kriminologie ergibt die Analyse deutliche Anzeichen für die Wirksamkeit von Abschreckung. Als wichtigster kriminalitätsreduzierender Faktor erweist sich die Verurteilungswahrscheinlichkeit von polizeilich ermittelten Tatverdächtigen. Ebenfalls stellt sich heraus, dass die Aufklärungsarbeit der Polizei dazu geeignet ist, potenzielle Straftäter abzuschrecken. Weit weniger eindeutige Ergebnisse werden dagegen für die Indikatoren der Strafhärte (z.B. Inhaftierungs-, Bewährungs- Geldstrafenquote, Haftlänge, Höhe der Geldstrafe) ermittelt. Diese Ergebnisse deuten zum einen auf die Austauschbarkeit von Sanktionen hin, legen andererseits aber nahe, dass eine konsequentere Verurteilung von prinzipiell anklagefähigen Tatverdächtigen, deren Ermittlungsverfahren in den letzten Jahren immer häufiger von den Staatsanwaltschaften aus Opportunitätsgründen eingestellt werden, sinnvoll sein könnte. Kapitel 3 ist ebenfalls der Bestimmung der Determinanten von Kriminalität gewidmet. Diese Analysen erfolgten jedoch auf einem tieferen Aggregationsniveau und unter Verwendung eines anderen Sets erklärender Variablen als jene in Kapitel 2. Konkret basieren die Untersuchungen auf Querschnittsdaten der Jahre 1989, 1992 und 1995 für die über 1.000 baden-württembergischen Gemeinden. Mit der Aufklärungsquote konnte zwar nur auf einen Strafverfolgungsindikator zugegriffen werden, dafür stehen jedoch über ein Dutzend sonstiger Erklärungsfaktoren zur Verfügung, deren Auswahl sich an den Erkenntnissen bedeutender Kriminalitätstheorien orientiert. Neben der (erneuten) Signifikanz der Aufklärungsquote ergeben sich etliche weitere Hinweise auf mögliche Ansatzpunkte kriminalpolitischer Instrumente. Es zeigt sich, dass Gemeinden mit hohen Vermögenswerten, einer hohen Einzelhandelsdichte oder einem hohen Anteil von (beruflichen) Einpendlern einer höheren Belastung mit Eigentumsdelikten unterliegen. Faktoren, die ebenfalls eine hohe Kriminalitätsrelevanz, und zwar gleichermaßen für Eigentums- und Gewaltdelikte, aufweisen, sind Arbeitslosigkeit und familiäre Zerrüttung. Eine Besonderheit der in diesem Kapitel durchgeführten Kriminalitätsschätzungen besteht in der expliziten Berücksichtigung der Charakteristika von Nachbargemeinden und insbesondere von Tätermobilität, für die systematische Ursachen nachgewiesen werden können. Kapitel 4 ist der (impliziten) Bewertung des menschlichen Lebens - d.h. der Bestimmung des sogenannten "Wertes eines statistischen Lebens (WSL)" - gewidmet. Die Analysen wurden auf der Grundlage eines aus IAB-Beschäftigtenstichprobe und Arbeitsunfallinformationen der Berufsgenossenschaften zusammengesetzten Datensatzes durchgeführt. Für sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer ergibt sich - in Abhängigkeit der verwendeten Datenstruktur und Schätzmethode - ein durchschnittlicher (um etwaige nicht berücksichtigte materielle Wertkomponenten korrigierter) WSL in Höhe von 2,25-5,09 Mio. €. Bewertungen dieser Art sind ein unentbehrlicher Bestandteil der Beurteilung von geplanten Maßnahmen zur Reduktion von Gesundheits- und Todesrisiken; denn ohne sie ist es nicht möglich, einen Vergleich zwischen Projektkosten und Projektnutzen durchzuführen, wenn letztere in vermiedenen Krankheits- und/oder Todesfällen - sprich in vorrangig immateriellen Werten - bestehen. Demnach besitzen WSL-Schätzungen sowohl für die Gesundheits-, Umwelt-, Verkehrs- und Kriminalpolitik Relevanz. Für letztere können WSL-Schätzungen nicht nur im Rahmen von Kosten-Nutzen-Analysen, sondern auch für die methodisch weniger anspruchsvollen Schadensanalysen eingesetzt werden. Setzt man die ermittelten WSL-Schätzungen an, dann ergeben sich für Deutschland im Jahre 2003 Schäden aus Straftaten mit Todesfolge (ohne Fahrlässigkeits- und Verkehrsdelikte) in Höhe von 2,51-5,68 Mrd. €. Dieser Schaden liegt auch bei einer Orientierung an der unteren Grenze des Intervalls immer noch höher als der vom Bundeskriminalamt mit 2,42 Mrd. € für alle registrierten Diebstähle (ca. 2,76 Mio. Fälle) ausgewiesene Schaden. Die in dieser Arbeit durchgeführten empirischen Analysen können lediglich einen ersten Schritt in Richtung einer Einführung von Schadens- und insbesondere Kosten-Nutzen-Analysen in die deutsche Kriminalpolitik darstellen. Zukünftige Analysen der Ursachen und Kosten von Kriminalität könnten erheblich von einer grundlegenden Reform (und Koordination) der deutschen Polizei- und Justizstatistik - möglichst flankiert von modernen Kostenrechnungsystemen – und regelmäßig und repräsentativ durchgeführten Opferbefragungen profitieren. Die Umsetzung dieser Maßnahmen wäre zwar zunächst mit hohen Kosten verbunden, würde sich in der mittleren bis langen Frist aber sicherlich auszahlen, da die Kriminalitätsforschung auf diese Weise eine erheblich verbesserte Datenbasis erhalten würde und von den dann möglichen Kosten-Nutzen-Analysen ein wichtiger Beitrag zu einer effizienteren Gestaltung der deutschen Kriminalpolitik erwartet werden darf.
Typ des Eintrags: | Dissertation | ||||
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Erschienen: | 2005 | ||||
Autor(en): | Spengler, Hannes | ||||
Art des Eintrags: | Erstveröffentlichung | ||||
Titel: | Ursachen und Kosten der Kriminalität in Deutschland | ||||
Sprache: | Deutsch | ||||
Referenten: | Entorf, Prof. Dr. Horst ; Caspari, Prof. Dr. Volker | ||||
Berater: | Entorf, Prof. Dr. Horst | ||||
Publikationsjahr: | 14 Februar 2005 | ||||
Ort: | Darmstadt | ||||
Verlag: | Technische Universität | ||||
Datum der mündlichen Prüfung: | 22 Dezember 2004 | ||||
URL / URN: | urn:nbn:de:tuda-tuprints-5314 | ||||
Kurzbeschreibung (Abstract): | Ziel dieser Arbeit ist es, der empirischen Kriminalitätsforschung in Deutschland neue Erkenntnisse, insbesondere in Hinblick auf künftige Kosten-Nutzen-Analysen von Projekten im Bereich der Kriminalpolitik, hinzuzufügen. Kosten-Nutzen-Analysen sollten idealerweise für alle ressourcenintensive Projekten erfolgen, welche die öffentliche Hand plant, um bestimmte gesellschaftlich erwünschte Ziele zu erreichen (z.B. die Reduzierung von Kriminalität). Dies impliziert, dass vor jedem Projekt bzw. vor jeder Kosten-Nutzen-Analyse eine Beurteilung der Möglichkeiten zur Zielerreichung steht. Hat man die Wirkungskanäle identifiziert und sich für einen Instrumentenmix entschieden, geht es darum, im Rahmen der Kosten-Nutzen-Analyse zunächst den kausalen Effekt bzw. die Wirkungsstärke der Maßnahme in Hinblick auf das angestrebte Ziel zu bestimmen und sodann ihre Kosten (z.B. Kosten des vermehrten Polizeieinsatzes) und Erträge (z.B. Wert vermiedener Körperverletzungen) in einer gemeinsamen Recheneinheit (in der Regel Euro) zu quantifizieren. Vor diesem Hintergrund wenden sich die beiden ersten empirischen Kapitel (Kapitel 2 und 3) dieser Arbeit der Untersuchung der Determinanten und somit der Beeinflussungsmöglichkeiten von Kriminalität zu, und Kapitel 4 befasst sich mit der pekuniären Bewertung von (vermiedenen) Straftaten. Kapitel 2 untersucht anhand einer eigens für diese Arbeit aus Bundesländerdaten des Zeitraums 1977-2001 der Polizeilichen Kriminalstatistik und der Strafverfolgungsstatistik aufgebauten Datenbank die Wirkung des deutschen Strafverfolgungssystems auf das Aufkommen acht verschiedener Deliktgruppen. Entgegen der Auffassung weiter Teile der deutschen Kriminologie ergibt die Analyse deutliche Anzeichen für die Wirksamkeit von Abschreckung. Als wichtigster kriminalitätsreduzierender Faktor erweist sich die Verurteilungswahrscheinlichkeit von polizeilich ermittelten Tatverdächtigen. Ebenfalls stellt sich heraus, dass die Aufklärungsarbeit der Polizei dazu geeignet ist, potenzielle Straftäter abzuschrecken. Weit weniger eindeutige Ergebnisse werden dagegen für die Indikatoren der Strafhärte (z.B. Inhaftierungs-, Bewährungs- Geldstrafenquote, Haftlänge, Höhe der Geldstrafe) ermittelt. Diese Ergebnisse deuten zum einen auf die Austauschbarkeit von Sanktionen hin, legen andererseits aber nahe, dass eine konsequentere Verurteilung von prinzipiell anklagefähigen Tatverdächtigen, deren Ermittlungsverfahren in den letzten Jahren immer häufiger von den Staatsanwaltschaften aus Opportunitätsgründen eingestellt werden, sinnvoll sein könnte. Kapitel 3 ist ebenfalls der Bestimmung der Determinanten von Kriminalität gewidmet. Diese Analysen erfolgten jedoch auf einem tieferen Aggregationsniveau und unter Verwendung eines anderen Sets erklärender Variablen als jene in Kapitel 2. Konkret basieren die Untersuchungen auf Querschnittsdaten der Jahre 1989, 1992 und 1995 für die über 1.000 baden-württembergischen Gemeinden. Mit der Aufklärungsquote konnte zwar nur auf einen Strafverfolgungsindikator zugegriffen werden, dafür stehen jedoch über ein Dutzend sonstiger Erklärungsfaktoren zur Verfügung, deren Auswahl sich an den Erkenntnissen bedeutender Kriminalitätstheorien orientiert. Neben der (erneuten) Signifikanz der Aufklärungsquote ergeben sich etliche weitere Hinweise auf mögliche Ansatzpunkte kriminalpolitischer Instrumente. Es zeigt sich, dass Gemeinden mit hohen Vermögenswerten, einer hohen Einzelhandelsdichte oder einem hohen Anteil von (beruflichen) Einpendlern einer höheren Belastung mit Eigentumsdelikten unterliegen. Faktoren, die ebenfalls eine hohe Kriminalitätsrelevanz, und zwar gleichermaßen für Eigentums- und Gewaltdelikte, aufweisen, sind Arbeitslosigkeit und familiäre Zerrüttung. Eine Besonderheit der in diesem Kapitel durchgeführten Kriminalitätsschätzungen besteht in der expliziten Berücksichtigung der Charakteristika von Nachbargemeinden und insbesondere von Tätermobilität, für die systematische Ursachen nachgewiesen werden können. Kapitel 4 ist der (impliziten) Bewertung des menschlichen Lebens - d.h. der Bestimmung des sogenannten "Wertes eines statistischen Lebens (WSL)" - gewidmet. Die Analysen wurden auf der Grundlage eines aus IAB-Beschäftigtenstichprobe und Arbeitsunfallinformationen der Berufsgenossenschaften zusammengesetzten Datensatzes durchgeführt. Für sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer ergibt sich - in Abhängigkeit der verwendeten Datenstruktur und Schätzmethode - ein durchschnittlicher (um etwaige nicht berücksichtigte materielle Wertkomponenten korrigierter) WSL in Höhe von 2,25-5,09 Mio. €. Bewertungen dieser Art sind ein unentbehrlicher Bestandteil der Beurteilung von geplanten Maßnahmen zur Reduktion von Gesundheits- und Todesrisiken; denn ohne sie ist es nicht möglich, einen Vergleich zwischen Projektkosten und Projektnutzen durchzuführen, wenn letztere in vermiedenen Krankheits- und/oder Todesfällen - sprich in vorrangig immateriellen Werten - bestehen. Demnach besitzen WSL-Schätzungen sowohl für die Gesundheits-, Umwelt-, Verkehrs- und Kriminalpolitik Relevanz. Für letztere können WSL-Schätzungen nicht nur im Rahmen von Kosten-Nutzen-Analysen, sondern auch für die methodisch weniger anspruchsvollen Schadensanalysen eingesetzt werden. Setzt man die ermittelten WSL-Schätzungen an, dann ergeben sich für Deutschland im Jahre 2003 Schäden aus Straftaten mit Todesfolge (ohne Fahrlässigkeits- und Verkehrsdelikte) in Höhe von 2,51-5,68 Mrd. €. Dieser Schaden liegt auch bei einer Orientierung an der unteren Grenze des Intervalls immer noch höher als der vom Bundeskriminalamt mit 2,42 Mrd. € für alle registrierten Diebstähle (ca. 2,76 Mio. Fälle) ausgewiesene Schaden. Die in dieser Arbeit durchgeführten empirischen Analysen können lediglich einen ersten Schritt in Richtung einer Einführung von Schadens- und insbesondere Kosten-Nutzen-Analysen in die deutsche Kriminalpolitik darstellen. Zukünftige Analysen der Ursachen und Kosten von Kriminalität könnten erheblich von einer grundlegenden Reform (und Koordination) der deutschen Polizei- und Justizstatistik - möglichst flankiert von modernen Kostenrechnungsystemen – und regelmäßig und repräsentativ durchgeführten Opferbefragungen profitieren. Die Umsetzung dieser Maßnahmen wäre zwar zunächst mit hohen Kosten verbunden, würde sich in der mittleren bis langen Frist aber sicherlich auszahlen, da die Kriminalitätsforschung auf diese Weise eine erheblich verbesserte Datenbasis erhalten würde und von den dann möglichen Kosten-Nutzen-Analysen ein wichtiger Beitrag zu einer effizienteren Gestaltung der deutschen Kriminalpolitik erwartet werden darf. |
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Alternatives oder übersetztes Abstract: |
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Freie Schlagworte: | Determinanten der Kriminalität, Tätermobilität, Kosten der Krimininalität, Wert eines statistischen Lebens, Kompensatorische Lohndifferenziale | ||||
Schlagworte: |
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Sachgruppe der Dewey Dezimalklassifikatin (DDC): | 300 Sozialwissenschaften > 330 Wirtschaft | ||||
Fachbereich(e)/-gebiet(e): | 01 Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften | ||||
Hinterlegungsdatum: | 17 Okt 2008 09:21 | ||||
Letzte Änderung: | 05 Mär 2013 09:26 | ||||
PPN: | |||||
Referenten: | Entorf, Prof. Dr. Horst ; Caspari, Prof. Dr. Volker | ||||
Datum der mündlichen Prüfung / Verteidigung / mdl. Prüfung: | 22 Dezember 2004 | ||||
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