Yu, Xiaochen (2022)
Anforderungen an Radverkehrsanlagen durch Elektrofahrräder und neue Kleinstfahrzeuge.
Technische Universität Darmstadt
doi: 10.26083/tuprints-00022923
Dissertation, Erstveröffentlichung, Verlagsversion
Kurzbeschreibung (Abstract)
Vor dem Hintergrund der Verkehrswende, einhergehend mit der Förderung des Radverkehrs und der Entwicklung der Elektroantriebe, werden immer mehr Verletzte mit dem Pedelec erfasst. Dabei ist der Anteil der verunglückten Pedelecfahrenden im Vergleich zur Anzahl der Verunglückten des Gesamtradverkehrs höher als der Anteil der Pedelecs am Gesamtradverkehrsbestand. Deswegen wird in dieser Arbeit die Verkehrssicherheit des Pedelecs in den Vordergrund gestellt. Zudem verbreiten sich auch die Lasten(fahr)räder, E-Tretroller und andere elektrisch angetriebene Kleinstfahrzeuge, die auch Radverkehrsanlagen befahren dürfen. Die Entwicklung der neuen Fahrzeuge führt zu einer Inhomogenität auf den Radverkehrsanlagen. Daraus entsteht die Frage, wie Radverkehrsanlagen an die Entwicklung der neuen Fahrzeuge angepasst werden sollen.
Die bisherigen Studien in Deutschland beziehen sich überwiegend auf das allgemeine Verhalten der Nutzenden neuer Fahrzeuge. Im Ausland, besonders in asiatischen Ländern, gibt es bereits Forschungen über E-Bikes, welche allerdings anders als Pedelecs in Deutschland definiert sind. Daher beschäftigt sich die Arbeit mit der Erfassung des Fahrverhaltens unter verschiedenen infrastrukturellen Merkmalen und der Festlegung der spezifischen Anforderungen an Radverkehrsanlagen durch neue Fahrzeuge. Dadurch sind die Empfehlungen für die Radverkehrsanlagen abzuleiten.
Basierend auf den Eigenschaften der neuen Fahrzeuge leiten sich die Hypothesen für mögliche Anforderungen an die Radverkehrsanlagen ab. Gemäß Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA) [FGSV 2010] werden die Hypothesen zusammengestellt und in drei Gruppen eingeteilt:
• Entwurfselemente: Breite von Radverkehrsanlagen; Trennung zwischen Geh- und Radweg; Breite von Sicherheitstrennstreifen; Längsneigung; Kurvenbereich; Aufstellbereich.
• Führung an Strecken: Gemeinsame Führung mit dem Fußverkehr; Duale Führungsform.
• Führung an Knotenpunkten: Zwischenzeit (Einfahrzeit); Führung des geradeausfahrenden Radverkehrs (mit nach rechts abbiegendem Kfz); Führung des nach links abbiegenden Radverkehrs.
Dazu werden zunächst die Grundlagen der Elektrofahrräder und Kleinstfahrzeuge erläutert. Dies betrifft die begriffliche Abgrenzung und rechtliche Anordnungen, technische Merkmale und nutzungsbezogene Merkmale der Elektrofahrräder und Kleinstfahrzeuge. Ebenso werden die Grundlagen zur Bemessung von Radverkehrsanlagen aufgezeigt, wobei auch auf die ausländischen Regelwerke und den Bestand der Radverkehrsanlagen in der Praxis eingegangen wird. Basierend auf den Grundlagen existieren drei Methoden für die Untersuchung. Zunächst steht die Unfallanalyse zwischen Fahrrädern und Pedelecs beruhend auf den Unfalldaten in Südhessen im Fokus. Der Schwerpunkt liegt auf den Verkehrsflächen der Unfallstelle und der Auswertung der dreistelligen Unfalltypen mithilfe des ausführlichen Unfallhergangs. Anschließend wird die Online-Umfrage genutzt, um die subjektive Wahrnehmung der Nutzenden für die Radverkehrsanlagen zu erfassen. Ergänzend werden auch die soziodemographischen Merkmale und das Mobilitätsverhalten der Rad- und E-Tretrollernutzenden einbezogen. Insgesamt wurden 755 Rückläufer (451 vollständige Rückläufer) ausgewertet. Letztendlich wird als wichtigstes Verfahren eine Videoerfassung an 54 Strecken und Knotenpunkten in den Hauptverkehrszeiten in Darmstadt und Frankfurt am Main durchgeführt. In Bezug auf die soziodemographischen Merkmale zeigen die wesentlichen Ergebnisse der Umfrage, dass Pedelecs bei älteren Menschen von großer Bedeutung sind. Allerdings spielen Pedelecs auch bei Berufstätigen im mittleren Erwachsenenalter eine wichtigere Rolle, und es ist zu erkennen, dass die Gruppe der Pedelecnutzenden tendenziell jünger wird. Die Lastenradnutzenden sind jünger als die Fahrradfahrenden. Dies wird auch bei E-Tretrollerfahrenden festgestellt, weil ein großer Anteil von Studierenden und Schüler:innen besteht, die nicht bei Pedelec- und Lastenradfahrenden auftauchen. Lastenräder und E-Tretroller werden vor allem in Stadtregionen genutzt. Die Verwendung der E-Tretroller kommt fast nur in Metropolen und Großstädten infrage. Dagegen kommen Pedelecs häufiger in Haushalten außerhalb von Metropolen und Großstädten zum Einsatz. In Hinblick auf das Mobilitätsverhalten werden Fahrräder und Pedelecs vor allem im Freizeitverkehr eingesetzt, während Lastenräder überwiegend zum Einkaufen genutzt werden. Die E-Tretroller, die in der Umfrage regelmäßig benutzt werden, kommen überwiegend im Pendlerverkehr oder bei Dienst-reisen zum Einsatz. Bei der (fast) täglichen Nutzung werden alle Fahrzeuge am häufigsten zur Arbeit benutzt. Die Wege zum Einkaufen mit Lastenrädern und die Wege zur Dienstreise mit den E-Tretrollern sind aufgrund mehrmaliger Nutzung pro Woche ausgeprägt. Durch die Nutzung der Pedelecs und Lastenräder wird die maximale Wegelänge auf 15 km bis 30 km erweitert. Die Wegelänge der Pedelecs und Lastenräder sind allerdings von der Reichweite des Akkus abhängig, besonders in der Winterzeit. Die nutzungsbezogene und fahrzeugtechnische Entfernung mit dem E-Tretroller ist deutlich kürzer als mit dem Fahrrad. Auf der Grundlage der Umfrage lassen sich anschließend allgemeine Wahrnehmungen für die Radverkehrsinfrastruktur/ -anlagen ableiten:
• Radverkehrsanlagen mit genügender Breite, gutem baulichen Zustand und Separation vom Kraftfahrzeugverkehr sind für alle von großer Bedeutung.
• Die Lastenradfahrenden bevorzugen eher breite Radverkehrsanlagen aufgrund vereinfachter Überholvorgänge.
• Die E-Tretrollerfahrenden ziehen die separaten Radverkehrsanlagen mit baulichem Zustand vor, um die subjektive Sicherheit zu gewährleisten.
• Für die Pedelecs sind zudem direktes Linksabbiegen und die für den Radverkehr angepasste Lichtsignalsteuerung von größerer Bedeutung.
• Die Wege außerorts mit der starken Kfz-Belastung werden generell nicht von Rad- und E-Tretrollerfahrenden akzeptiert.
• Die Wege innerorts mit niedriger Kfz-Belastung oder im Grünbereich sind bei den E-Tretrollerfahrenden besonders beliebt.
• Ungefähr 50% der Befragten halten das Rad- und E-Tretrollerfahren generell für „sicher“ oder „sehr sicher“. Dieser Anteil ist bei den E-Tretrollerfahrenden (13%) eindeutig niedriger.
Im Weiteren werden das infrastruktur-bezogene Fahrverhalten von Nutzenden der neuen Fahrzeuge und die Auswirkung auf Radverkehrsanlagen durch Videoerfassung registriert. In Zusammenhang mit der Betrachtung der Unfallauswertung und der (konkreten) subjektiven Wahrnehmung für die Radverkehrsanlagen werden im Folgenden die ausgewählten wesentlichen Ergebnisse dargestellt:
• Die Pedelec- und Lastenradfahrenden benötigen mehr Sicherheitsraum zu den Hindernissen und zu anderen Verkehrsteilnehmenden (Überholabstand) wegen höherer Geschwindigkeit und spezifischer Fahrzeugabmessung.
• Die schmalen Radverkehrsstreifen (Schutz- und Radfahrstreifen) und schmalen Radwege zwischen Fahrbahn und Grünflächen sind mit den Lastenrädern (im Wirtschaftsverkehr) besonders schwierig zu befahren.
• Der 0,30 m breite Begrenzungsstreifen zwischen Geh- und Radweg ist ausreichend.
• Die Pedelecfahrenden werden stärker von dem ruhenden Verkehr beeinträchtigt als Fahrradfahrende, besonders auf der Fahrbahn sowie an Radverkehrsstreifen.
• An den Steigungsstrecken wird die Geschwindigkeit der Pedelecs am geringsten beeinflusst. Im Vergleich dazu haben die E-Tretroller Schwierigkeiten mit der Befahrbarkeit steiler Steigungen (z.B. > 6%).
• Die Kapazität der aufgeweiteten Radaufstellstreifen ist bisher noch unkritisch. Allerdings werden die aufgeweiteten Radaufstellstreifen oft nicht ausgenutzt.
• Bei der gemeinsamen Führung mit dem Fußverkehr werden die Gefahrenpunkte durch Pedelecs und Lastenräder überwiegend an Gehwegen, die schmaler als 4,0 m sind, beobachtet.
• Bei der Führung des geradeausfahrenden Radverkehrs wird eine Unterschätzung der Geschwindigkeit der Pedelecs angesichts der Rechtsabbiege-Unfälle generell nicht verifiziert.
• Die Unfallanalyse von Rechtsabbiege-Unfällen bestätigt die Missachtung der Vorfahrt durch Kfz oft an langen Radfahrstreifen in Mittellage.
• Es wird festgestellt, dass die Pedelecfahrenden das direkte Linksabbiegen und die E-Tretrollerfahrenden mehrheitlich das indirekte Linksabbiegen vorziehen im Vergleich mit den Fahrradfahrenden.
• Die sehr hohen Geschwindigkeiten der Pedelecs, die sogar größer sind im Vergleich zu sportlich Fahrradfahrenden, werden vorwiegend bei jungen Nutzenden und sportlichen Pedelecs an breiten Radverkehrsanlagen oder Steigungsstrecken erfasst.
Auf Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse wurden schließlich Empfehlungen für die Bemessung von Radverkehrsanlagen abgeleitet. Ausgewählte Empfehlungen sind:
• Der Verkehrsraum für Fahrrad/ Pedelec/ E-Tretroller ist auf 1,10 m anstatt 1,00 m gemäß ERA 2010 zu erhöhen und die Breite der Lastenräder zusätzlich zu addieren.
• Unter Berücksichtigung des Sicherheitsraums zur Bordsteinkante und des fließenden Kfz-Verkehrs werden ein Mindestmaß von 1,95 m und ein Regelmaß von 2,30 m Breite (Einrichtungsverkehr) je nach der Führungsform und des Qualitätsstandards benötigt.
• Ein Sicherheitstrennstreifen zwischen Parkständen und Radverkehrsstreifen ist mit einer Breite von mindestens 0,75 m erforderlich.
• Eine Zusatzbreite bis zu 0,50 m wird an den Strecken bis 6% Steigung in Abhängigkeit des Steigungsgrads empfohlen.
• Der aufgeweitete Radaufstellstreifen ist mit 6,0 m (ERA-Standard) / 6,5 m (Radvorrangrouten) Länge als Regelmaß angegeben. Dies lässt sich auf ein Mindestmaß von 5,0 m reduzieren und sollte nur bei zuführenden Radverkehrsstreifen breiter als 2,50 m sein.
• Als Gehwegbreite für eine gemeinsame Führung wird ein Regelmaß von 3,90 m (Einrichtungsbetrieb) / 4,90 m (Zweirichtungsbetrieb) zuzüglich des Sicherheitstrennstreifens benötigt. Ein Mindestmaß von 3,20 m sollte für die Anordnung der Benutzungspflicht nicht unterschritten werden.
• Ein Radfahrstreifen in Mittelage (bei den Dreiecksinseln) ist auf 60 m Länge zu beschränken.
• Eine Fahrradweiche am Einordnungsbereich kommt zur Erhöhung der Aufmerksamkeit der Kfz und zur Vereinfachung des direkten Linksabbiegens in Frage. Alternativ könnten die linksabbiegen-den Räder und E-Tretroller mit linksabbiegenden Kfz ohne Einordnungsvorgänge in einer Phase des Signalprogramms geführt werden, wenn der Knotenpunkt ausreichend „groß" und die eigene Signalphase für linksabbiegende Kfz vorhanden sind.
Die vorliegende Arbeit leistet im Rahmen der Verkehrswende einen grundlegenden Beitrag für die Verbesserung der Radverkehrsanlagen unter der Betrachtung von neuen Fahrzeugen im Radverkehr. Die Entwicklungen im Radverkehr schreiten schnell voran, z.B. bei der Nutzung von Lastenrädern im Wirtschaftsverkehr oder die vermehrte Nachfrage von E-Tretrollern. Ihre Auswirkungen auf Radverkehrsanlagen sollten noch näher untersucht werden. Außerdem ist eine sichere und komfortable Führung des Radverkehrs an Radschnellverbindungen und Erschließungsstraßen zu analysieren. Um die Wissenslücken an diesen Straßen zu schließen, ist weitere Forschung notwendig.
Typ des Eintrags: | Dissertation | ||||
---|---|---|---|---|---|
Erschienen: | 2022 | ||||
Autor(en): | Yu, Xiaochen | ||||
Art des Eintrags: | Erstveröffentlichung | ||||
Titel: | Anforderungen an Radverkehrsanlagen durch Elektrofahrräder und neue Kleinstfahrzeuge | ||||
Sprache: | Deutsch | ||||
Referenten: | Boltze, Prof. Dr. Manfred ; Kassens-Noor, Prof. PhD. Eva ; Follmann, Prof. Dr. Jürgen | ||||
Publikationsjahr: | 2022 | ||||
Ort: | Darmstadt | ||||
Kollation: | xii, 220, A296 Seiten | ||||
Datum der mündlichen Prüfung: | 14 November 2022 | ||||
DOI: | 10.26083/tuprints-00022923 | ||||
URL / URN: | https://tuprints.ulb.tu-darmstadt.de/22923 | ||||
Kurzbeschreibung (Abstract): | Vor dem Hintergrund der Verkehrswende, einhergehend mit der Förderung des Radverkehrs und der Entwicklung der Elektroantriebe, werden immer mehr Verletzte mit dem Pedelec erfasst. Dabei ist der Anteil der verunglückten Pedelecfahrenden im Vergleich zur Anzahl der Verunglückten des Gesamtradverkehrs höher als der Anteil der Pedelecs am Gesamtradverkehrsbestand. Deswegen wird in dieser Arbeit die Verkehrssicherheit des Pedelecs in den Vordergrund gestellt. Zudem verbreiten sich auch die Lasten(fahr)räder, E-Tretroller und andere elektrisch angetriebene Kleinstfahrzeuge, die auch Radverkehrsanlagen befahren dürfen. Die Entwicklung der neuen Fahrzeuge führt zu einer Inhomogenität auf den Radverkehrsanlagen. Daraus entsteht die Frage, wie Radverkehrsanlagen an die Entwicklung der neuen Fahrzeuge angepasst werden sollen. Die bisherigen Studien in Deutschland beziehen sich überwiegend auf das allgemeine Verhalten der Nutzenden neuer Fahrzeuge. Im Ausland, besonders in asiatischen Ländern, gibt es bereits Forschungen über E-Bikes, welche allerdings anders als Pedelecs in Deutschland definiert sind. Daher beschäftigt sich die Arbeit mit der Erfassung des Fahrverhaltens unter verschiedenen infrastrukturellen Merkmalen und der Festlegung der spezifischen Anforderungen an Radverkehrsanlagen durch neue Fahrzeuge. Dadurch sind die Empfehlungen für die Radverkehrsanlagen abzuleiten. Basierend auf den Eigenschaften der neuen Fahrzeuge leiten sich die Hypothesen für mögliche Anforderungen an die Radverkehrsanlagen ab. Gemäß Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA) [FGSV 2010] werden die Hypothesen zusammengestellt und in drei Gruppen eingeteilt: • Entwurfselemente: Breite von Radverkehrsanlagen; Trennung zwischen Geh- und Radweg; Breite von Sicherheitstrennstreifen; Längsneigung; Kurvenbereich; Aufstellbereich. • Führung an Strecken: Gemeinsame Führung mit dem Fußverkehr; Duale Führungsform. • Führung an Knotenpunkten: Zwischenzeit (Einfahrzeit); Führung des geradeausfahrenden Radverkehrs (mit nach rechts abbiegendem Kfz); Führung des nach links abbiegenden Radverkehrs. Dazu werden zunächst die Grundlagen der Elektrofahrräder und Kleinstfahrzeuge erläutert. Dies betrifft die begriffliche Abgrenzung und rechtliche Anordnungen, technische Merkmale und nutzungsbezogene Merkmale der Elektrofahrräder und Kleinstfahrzeuge. Ebenso werden die Grundlagen zur Bemessung von Radverkehrsanlagen aufgezeigt, wobei auch auf die ausländischen Regelwerke und den Bestand der Radverkehrsanlagen in der Praxis eingegangen wird. Basierend auf den Grundlagen existieren drei Methoden für die Untersuchung. Zunächst steht die Unfallanalyse zwischen Fahrrädern und Pedelecs beruhend auf den Unfalldaten in Südhessen im Fokus. Der Schwerpunkt liegt auf den Verkehrsflächen der Unfallstelle und der Auswertung der dreistelligen Unfalltypen mithilfe des ausführlichen Unfallhergangs. Anschließend wird die Online-Umfrage genutzt, um die subjektive Wahrnehmung der Nutzenden für die Radverkehrsanlagen zu erfassen. Ergänzend werden auch die soziodemographischen Merkmale und das Mobilitätsverhalten der Rad- und E-Tretrollernutzenden einbezogen. Insgesamt wurden 755 Rückläufer (451 vollständige Rückläufer) ausgewertet. Letztendlich wird als wichtigstes Verfahren eine Videoerfassung an 54 Strecken und Knotenpunkten in den Hauptverkehrszeiten in Darmstadt und Frankfurt am Main durchgeführt. In Bezug auf die soziodemographischen Merkmale zeigen die wesentlichen Ergebnisse der Umfrage, dass Pedelecs bei älteren Menschen von großer Bedeutung sind. Allerdings spielen Pedelecs auch bei Berufstätigen im mittleren Erwachsenenalter eine wichtigere Rolle, und es ist zu erkennen, dass die Gruppe der Pedelecnutzenden tendenziell jünger wird. Die Lastenradnutzenden sind jünger als die Fahrradfahrenden. Dies wird auch bei E-Tretrollerfahrenden festgestellt, weil ein großer Anteil von Studierenden und Schüler:innen besteht, die nicht bei Pedelec- und Lastenradfahrenden auftauchen. Lastenräder und E-Tretroller werden vor allem in Stadtregionen genutzt. Die Verwendung der E-Tretroller kommt fast nur in Metropolen und Großstädten infrage. Dagegen kommen Pedelecs häufiger in Haushalten außerhalb von Metropolen und Großstädten zum Einsatz. In Hinblick auf das Mobilitätsverhalten werden Fahrräder und Pedelecs vor allem im Freizeitverkehr eingesetzt, während Lastenräder überwiegend zum Einkaufen genutzt werden. Die E-Tretroller, die in der Umfrage regelmäßig benutzt werden, kommen überwiegend im Pendlerverkehr oder bei Dienst-reisen zum Einsatz. Bei der (fast) täglichen Nutzung werden alle Fahrzeuge am häufigsten zur Arbeit benutzt. Die Wege zum Einkaufen mit Lastenrädern und die Wege zur Dienstreise mit den E-Tretrollern sind aufgrund mehrmaliger Nutzung pro Woche ausgeprägt. Durch die Nutzung der Pedelecs und Lastenräder wird die maximale Wegelänge auf 15 km bis 30 km erweitert. Die Wegelänge der Pedelecs und Lastenräder sind allerdings von der Reichweite des Akkus abhängig, besonders in der Winterzeit. Die nutzungsbezogene und fahrzeugtechnische Entfernung mit dem E-Tretroller ist deutlich kürzer als mit dem Fahrrad. Auf der Grundlage der Umfrage lassen sich anschließend allgemeine Wahrnehmungen für die Radverkehrsinfrastruktur/ -anlagen ableiten: • Radverkehrsanlagen mit genügender Breite, gutem baulichen Zustand und Separation vom Kraftfahrzeugverkehr sind für alle von großer Bedeutung. • Die Lastenradfahrenden bevorzugen eher breite Radverkehrsanlagen aufgrund vereinfachter Überholvorgänge. • Die E-Tretrollerfahrenden ziehen die separaten Radverkehrsanlagen mit baulichem Zustand vor, um die subjektive Sicherheit zu gewährleisten. • Für die Pedelecs sind zudem direktes Linksabbiegen und die für den Radverkehr angepasste Lichtsignalsteuerung von größerer Bedeutung. • Die Wege außerorts mit der starken Kfz-Belastung werden generell nicht von Rad- und E-Tretrollerfahrenden akzeptiert. • Die Wege innerorts mit niedriger Kfz-Belastung oder im Grünbereich sind bei den E-Tretrollerfahrenden besonders beliebt. • Ungefähr 50% der Befragten halten das Rad- und E-Tretrollerfahren generell für „sicher“ oder „sehr sicher“. Dieser Anteil ist bei den E-Tretrollerfahrenden (13%) eindeutig niedriger. Im Weiteren werden das infrastruktur-bezogene Fahrverhalten von Nutzenden der neuen Fahrzeuge und die Auswirkung auf Radverkehrsanlagen durch Videoerfassung registriert. In Zusammenhang mit der Betrachtung der Unfallauswertung und der (konkreten) subjektiven Wahrnehmung für die Radverkehrsanlagen werden im Folgenden die ausgewählten wesentlichen Ergebnisse dargestellt: • Die Pedelec- und Lastenradfahrenden benötigen mehr Sicherheitsraum zu den Hindernissen und zu anderen Verkehrsteilnehmenden (Überholabstand) wegen höherer Geschwindigkeit und spezifischer Fahrzeugabmessung. • Die schmalen Radverkehrsstreifen (Schutz- und Radfahrstreifen) und schmalen Radwege zwischen Fahrbahn und Grünflächen sind mit den Lastenrädern (im Wirtschaftsverkehr) besonders schwierig zu befahren. • Der 0,30 m breite Begrenzungsstreifen zwischen Geh- und Radweg ist ausreichend. • Die Pedelecfahrenden werden stärker von dem ruhenden Verkehr beeinträchtigt als Fahrradfahrende, besonders auf der Fahrbahn sowie an Radverkehrsstreifen. • An den Steigungsstrecken wird die Geschwindigkeit der Pedelecs am geringsten beeinflusst. Im Vergleich dazu haben die E-Tretroller Schwierigkeiten mit der Befahrbarkeit steiler Steigungen (z.B. > 6%). • Die Kapazität der aufgeweiteten Radaufstellstreifen ist bisher noch unkritisch. Allerdings werden die aufgeweiteten Radaufstellstreifen oft nicht ausgenutzt. • Bei der gemeinsamen Führung mit dem Fußverkehr werden die Gefahrenpunkte durch Pedelecs und Lastenräder überwiegend an Gehwegen, die schmaler als 4,0 m sind, beobachtet. • Bei der Führung des geradeausfahrenden Radverkehrs wird eine Unterschätzung der Geschwindigkeit der Pedelecs angesichts der Rechtsabbiege-Unfälle generell nicht verifiziert. • Die Unfallanalyse von Rechtsabbiege-Unfällen bestätigt die Missachtung der Vorfahrt durch Kfz oft an langen Radfahrstreifen in Mittellage. • Es wird festgestellt, dass die Pedelecfahrenden das direkte Linksabbiegen und die E-Tretrollerfahrenden mehrheitlich das indirekte Linksabbiegen vorziehen im Vergleich mit den Fahrradfahrenden. • Die sehr hohen Geschwindigkeiten der Pedelecs, die sogar größer sind im Vergleich zu sportlich Fahrradfahrenden, werden vorwiegend bei jungen Nutzenden und sportlichen Pedelecs an breiten Radverkehrsanlagen oder Steigungsstrecken erfasst. Auf Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse wurden schließlich Empfehlungen für die Bemessung von Radverkehrsanlagen abgeleitet. Ausgewählte Empfehlungen sind: • Der Verkehrsraum für Fahrrad/ Pedelec/ E-Tretroller ist auf 1,10 m anstatt 1,00 m gemäß ERA 2010 zu erhöhen und die Breite der Lastenräder zusätzlich zu addieren. • Unter Berücksichtigung des Sicherheitsraums zur Bordsteinkante und des fließenden Kfz-Verkehrs werden ein Mindestmaß von 1,95 m und ein Regelmaß von 2,30 m Breite (Einrichtungsverkehr) je nach der Führungsform und des Qualitätsstandards benötigt. • Ein Sicherheitstrennstreifen zwischen Parkständen und Radverkehrsstreifen ist mit einer Breite von mindestens 0,75 m erforderlich. • Eine Zusatzbreite bis zu 0,50 m wird an den Strecken bis 6% Steigung in Abhängigkeit des Steigungsgrads empfohlen. • Der aufgeweitete Radaufstellstreifen ist mit 6,0 m (ERA-Standard) / 6,5 m (Radvorrangrouten) Länge als Regelmaß angegeben. Dies lässt sich auf ein Mindestmaß von 5,0 m reduzieren und sollte nur bei zuführenden Radverkehrsstreifen breiter als 2,50 m sein. • Als Gehwegbreite für eine gemeinsame Führung wird ein Regelmaß von 3,90 m (Einrichtungsbetrieb) / 4,90 m (Zweirichtungsbetrieb) zuzüglich des Sicherheitstrennstreifens benötigt. Ein Mindestmaß von 3,20 m sollte für die Anordnung der Benutzungspflicht nicht unterschritten werden. • Ein Radfahrstreifen in Mittelage (bei den Dreiecksinseln) ist auf 60 m Länge zu beschränken. • Eine Fahrradweiche am Einordnungsbereich kommt zur Erhöhung der Aufmerksamkeit der Kfz und zur Vereinfachung des direkten Linksabbiegens in Frage. Alternativ könnten die linksabbiegen-den Räder und E-Tretroller mit linksabbiegenden Kfz ohne Einordnungsvorgänge in einer Phase des Signalprogramms geführt werden, wenn der Knotenpunkt ausreichend „groß" und die eigene Signalphase für linksabbiegende Kfz vorhanden sind. Die vorliegende Arbeit leistet im Rahmen der Verkehrswende einen grundlegenden Beitrag für die Verbesserung der Radverkehrsanlagen unter der Betrachtung von neuen Fahrzeugen im Radverkehr. Die Entwicklungen im Radverkehr schreiten schnell voran, z.B. bei der Nutzung von Lastenrädern im Wirtschaftsverkehr oder die vermehrte Nachfrage von E-Tretrollern. Ihre Auswirkungen auf Radverkehrsanlagen sollten noch näher untersucht werden. Außerdem ist eine sichere und komfortable Führung des Radverkehrs an Radschnellverbindungen und Erschließungsstraßen zu analysieren. Um die Wissenslücken an diesen Straßen zu schließen, ist weitere Forschung notwendig. |
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Alternatives oder übersetztes Abstract: |
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Status: | Verlagsversion | ||||
URN: | urn:nbn:de:tuda-tuprints-229238 | ||||
Sachgruppe der Dewey Dezimalklassifikatin (DDC): | 600 Technik, Medizin, angewandte Wissenschaften > 620 Ingenieurwissenschaften und Maschinenbau | ||||
Fachbereich(e)/-gebiet(e): | 13 Fachbereich Bau- und Umweltingenieurwissenschaften 13 Fachbereich Bau- und Umweltingenieurwissenschaften > Verbund Institute für Verkehr 13 Fachbereich Bau- und Umweltingenieurwissenschaften > Verbund Institute für Verkehr > Institut für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik |
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Hinterlegungsdatum: | 07 Dez 2022 13:26 | ||||
Letzte Änderung: | 08 Dez 2022 06:25 | ||||
PPN: | |||||
Referenten: | Boltze, Prof. Dr. Manfred ; Kassens-Noor, Prof. PhD. Eva ; Follmann, Prof. Dr. Jürgen | ||||
Datum der mündlichen Prüfung / Verteidigung / mdl. Prüfung: | 14 November 2022 | ||||
Export: | |||||
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