Heldmann, Claus-Dieter (2021)
Der hydrothermale Aquifer des Hochstegenmarmors im Tuxertal, Österreich.
Technische Universität Darmstadt
doi: 10.26083/tuprints-00017753
Dissertation, Erstveröffentlichung, Verlagsversion
Kurzbeschreibung (Abstract)
Nach einhelliger Meinung der Fachwelt stehen dem alpinen Raum durch den Klimawandel historisch beispiellose Veränderungen bevor. Wie schon seit einigen Jahrzehnten beobachtet, werden sich die Bilanzgrößen des Wasserkreislaufs weiterhin signifikant ändern – sowohl in ihrer Summe als auch in ihrer Variabilität. In Konsequenz sehen die Regierungen des Alpenraums zunehmenden Wassernutzungskonflikten entgegen und bestärken ihre Landesregierungen Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Als wichtigstes Werkzeug bemühen sie lokale interessensübergreifende Wasserwirtschaftsplanungen. Diese Planungen benötigen datengestützte, regional und lokal detaillierte Prognosemodelle. Hydrologisch besonders anspruchsvoll bei dieser Art Modellbildung sind Karstgrundwasserleiter, wegen ihrer Eigenheit weitreichende Grundwasserfließwege mit hoher Transportgeschwindigkeit zu erzeugen. Extremfälle sind dabei Einzugsgebiete wo Karstaquifere und undurchlässige Gesteine durch Wechsellagerung oder vertikale Barrieren stark anisotrope Grundwasserfließbedingungen erzeugen. Bei den benötigten Einzugsmodellen wird gerade in Festgesteinsgebieten der Anteil des unterirdischen Abflusses in der Regel vernachlässigt, steht er doch häufig um mehrere Größenordnungen hinter dem Oberflächenabfluss zurück. Aber gerade diesem Abflussanteil könnte entscheidende Bedeutung zukommen hinsichtlich der Prognosen, die künftig für wohljustierte sozio-ökonomische Abwägungen verwendet werden sollen. Ziel dieser Dissertation ist die Falsifizierung eines möglicherweise planungsrelevanten Einflusses von Karstaquiferen in Gebieten, in denen die verkarstungsfähigen Carbonatgesteine oberflächlich untergeordnet auftreten. In einem Beispielgebiet wurde gezeigt, dass sich deren Einfluss hydrologisch signifikant für das Gesamtgebiet auswirken kann. Außerdem sind durch die besondere Konnektivität in Karströhren wesentlich kürzere Verweilzeiten und hydraulische Kurzschlüsse als kritische Parameter der Trinkwassernutzung einzukalkulieren. Als Untersuchungsgebiet wurde das Tuxertal in Nordtirol gewählt, das als Nebental des Zillertals, die Hüllgesteine des Tauernfensters einschließen. Die dortige Hochstegenformation und Seidlwinklformation repräsentieren verkarstungsfähigen Einheiten, die sich als Rahmen um das Tauernfenster über 450 km Länge erstrecken. Im Verlauf dieser Dissertation und mehrerer Publikationen wurden an Quellen und Grundwasserzutritten in Tunneln überwiegend klassische hydrogeologische Methoden eingesetzt. Über 500 Einzelmessungen von Feldparametern und zugehörigen Hauptionenanalysen bilden dabei die Basis für eine qualifizierte Zuordnung zur kartierten lokalen Geologie. An ausgewählten Standorten wurden mehrjährige Messreihen erhoben, um die saisonalen Einflüsse gegenüber jährlichen Variationen abzugrenzen. Ergänzt werden diese Grundlagen durch Isotopenmethoden zur Untersuchung des Einflusses von Gletschern und Tracerversuche zum Nachweis eines weitläufigen Karstsystems. Geothermische Daten wurden mittels Enhanced Geothermal Response Tests an einer 400 m tiefen Bohrung und anhand lokaler Tunnel über Messungen und Datenrecherche gewonnen. Die Ergebnisse der Arbeiten zeigen, dass der Hochstegenmarmor als Drainagekörper für fast alle Seitentäler nördlich des Tuxer Hauptkamms wirkt womit deren Einzugsbereiche zu großen Teilen unterirdisch entwässert werden. Eine tiefgreifende Verkarstung in dieser Einheit war bisher nur für die Höhenlagen bekannt und konnte nun für die tieferen Talbereiche nachgewiesen werden: Einerseits durch die Entdeckung des Karstsystems am Grinberg und andererseits durch die Entdeckung von Karströhren mit hoher Durchströmungsgeschwindigkeit bis in mehreren hundert Meter unter Talbodenniveau. Der Zusammenhang von Störungsbereichen und Veränderungen der geochemischen Charakteristik wird aufgezeigt, wonach die Dolomitisierung wahrscheinlich während der Subduktionsphase erfolgte. Diese dolomitisierten Bereiche entsprechen 15 – 25 % Volumenanteil in den Carbonatkörpern. Die dolomitisierten Bereiche sind gegenüber den Calcitmarmoren chemisch stabiler gegen Lösungsprozesse und sind als Resultat ihrer Überprägung auch geringer geklüftet beziehungsweise geringer hydraulisch leitfähig. Diese drei Gegebenheiten führen dazu, dass sich die Mg-reichen Gesteine nur untergeordnet auf die Stoffkonzentrationen im Grundwasser der Hochstegenformation auswirkt. In der Kasererserie hingegen, deren Gesteine ebenfalls im Arbeitsgebiet liegen, hat sich die Dolomitisierung (möglicherweise in mehreren Deformationsphasen) stärker ausgeprägt, was zusammen mit der stark erhöhten tertiären Porosität unter anderem zu einem Mg-dominierten Grundwassertyp führt. Die durchgehende Verkarstung der Hochstegencarbonate, die in direkter Linie über 20 km zwischen dem Tuxer Ferner am Olperer bis in den Talboden des Zillertals unter Mayrhofen streichen, schafft zusammen mit dem hochalpinen Relief eine hydraulische Kurzschlussverbindung die einer Drainage gleicht: Die Niederschläge und Schmelzwässer nördlich des gesamten Tuxer Hauptkamms werden zu großen Teilen von dem Karstsystem geschluckt und unterirdisch aus dem Tal abgeleitet, ohne den Tuxbach über seine Vorfluter zu erreichen. Durch diese besonderen hydro(geo)logischen Verhältnisse mit signifikantem unterirdischem Gebietsabfluss ergeben sich veränderte Rahmenbedingungen für Modelle der zukünftige Wasserverfügbarkeit. Daher müssen die bereits bestehenden hydrologischen Modelle neben den Einflüssen des Klimawandels auch diese Sondersituation berücksichtigen, um brauchbare Prognosedaten für die bevorstehenden regionalen Planungen zu liefern. Hinsichtlich des geothermischen Potenzials wird der Hochstegenaquifer als Niedrigtemperatur-Reservoir mit geringer bis mittlerer Leitfähigkeit eingestuft. Die geothermische Erschließung ist hinsichtlich ganzjähriger thermischer Nutzbarkeit (Heizen im Winter, Kühlen im Sommer) durch den saisonal hohen Wärme-/Kältebedarf für Winter- und Sommertourismus in einer günstigen Ausgangssituation. Da abgesehen von den Hintertuxer Thermalquellen nur wenige wasserrechtlich genutzte Quellen von diesem Aquifer gespeist werden, ist das Konfliktpotenzial wahrscheinlich gering.
Typ des Eintrags: | Dissertation | ||||
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Erschienen: | 2021 | ||||
Autor(en): | Heldmann, Claus-Dieter | ||||
Art des Eintrags: | Erstveröffentlichung | ||||
Titel: | Der hydrothermale Aquifer des Hochstegenmarmors im Tuxertal, Österreich | ||||
Sprache: | Deutsch | ||||
Referenten: | Sass, Prof. Dr. Ingo ; Schüth, Prof. Dr. Christoph | ||||
Publikationsjahr: | 2021 | ||||
Ort: | Darmstadt | ||||
Kollation: | xvii, 39, CXLV Seiten | ||||
Datum der mündlichen Prüfung: | 30 November 2020 | ||||
DOI: | 10.26083/tuprints-00017753 | ||||
URL / URN: | https://tuprints.ulb.tu-darmstadt.de/17753 | ||||
Kurzbeschreibung (Abstract): | Nach einhelliger Meinung der Fachwelt stehen dem alpinen Raum durch den Klimawandel historisch beispiellose Veränderungen bevor. Wie schon seit einigen Jahrzehnten beobachtet, werden sich die Bilanzgrößen des Wasserkreislaufs weiterhin signifikant ändern – sowohl in ihrer Summe als auch in ihrer Variabilität. In Konsequenz sehen die Regierungen des Alpenraums zunehmenden Wassernutzungskonflikten entgegen und bestärken ihre Landesregierungen Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Als wichtigstes Werkzeug bemühen sie lokale interessensübergreifende Wasserwirtschaftsplanungen. Diese Planungen benötigen datengestützte, regional und lokal detaillierte Prognosemodelle. Hydrologisch besonders anspruchsvoll bei dieser Art Modellbildung sind Karstgrundwasserleiter, wegen ihrer Eigenheit weitreichende Grundwasserfließwege mit hoher Transportgeschwindigkeit zu erzeugen. Extremfälle sind dabei Einzugsgebiete wo Karstaquifere und undurchlässige Gesteine durch Wechsellagerung oder vertikale Barrieren stark anisotrope Grundwasserfließbedingungen erzeugen. Bei den benötigten Einzugsmodellen wird gerade in Festgesteinsgebieten der Anteil des unterirdischen Abflusses in der Regel vernachlässigt, steht er doch häufig um mehrere Größenordnungen hinter dem Oberflächenabfluss zurück. Aber gerade diesem Abflussanteil könnte entscheidende Bedeutung zukommen hinsichtlich der Prognosen, die künftig für wohljustierte sozio-ökonomische Abwägungen verwendet werden sollen. Ziel dieser Dissertation ist die Falsifizierung eines möglicherweise planungsrelevanten Einflusses von Karstaquiferen in Gebieten, in denen die verkarstungsfähigen Carbonatgesteine oberflächlich untergeordnet auftreten. In einem Beispielgebiet wurde gezeigt, dass sich deren Einfluss hydrologisch signifikant für das Gesamtgebiet auswirken kann. Außerdem sind durch die besondere Konnektivität in Karströhren wesentlich kürzere Verweilzeiten und hydraulische Kurzschlüsse als kritische Parameter der Trinkwassernutzung einzukalkulieren. Als Untersuchungsgebiet wurde das Tuxertal in Nordtirol gewählt, das als Nebental des Zillertals, die Hüllgesteine des Tauernfensters einschließen. Die dortige Hochstegenformation und Seidlwinklformation repräsentieren verkarstungsfähigen Einheiten, die sich als Rahmen um das Tauernfenster über 450 km Länge erstrecken. Im Verlauf dieser Dissertation und mehrerer Publikationen wurden an Quellen und Grundwasserzutritten in Tunneln überwiegend klassische hydrogeologische Methoden eingesetzt. Über 500 Einzelmessungen von Feldparametern und zugehörigen Hauptionenanalysen bilden dabei die Basis für eine qualifizierte Zuordnung zur kartierten lokalen Geologie. An ausgewählten Standorten wurden mehrjährige Messreihen erhoben, um die saisonalen Einflüsse gegenüber jährlichen Variationen abzugrenzen. Ergänzt werden diese Grundlagen durch Isotopenmethoden zur Untersuchung des Einflusses von Gletschern und Tracerversuche zum Nachweis eines weitläufigen Karstsystems. Geothermische Daten wurden mittels Enhanced Geothermal Response Tests an einer 400 m tiefen Bohrung und anhand lokaler Tunnel über Messungen und Datenrecherche gewonnen. Die Ergebnisse der Arbeiten zeigen, dass der Hochstegenmarmor als Drainagekörper für fast alle Seitentäler nördlich des Tuxer Hauptkamms wirkt womit deren Einzugsbereiche zu großen Teilen unterirdisch entwässert werden. Eine tiefgreifende Verkarstung in dieser Einheit war bisher nur für die Höhenlagen bekannt und konnte nun für die tieferen Talbereiche nachgewiesen werden: Einerseits durch die Entdeckung des Karstsystems am Grinberg und andererseits durch die Entdeckung von Karströhren mit hoher Durchströmungsgeschwindigkeit bis in mehreren hundert Meter unter Talbodenniveau. Der Zusammenhang von Störungsbereichen und Veränderungen der geochemischen Charakteristik wird aufgezeigt, wonach die Dolomitisierung wahrscheinlich während der Subduktionsphase erfolgte. Diese dolomitisierten Bereiche entsprechen 15 – 25 % Volumenanteil in den Carbonatkörpern. Die dolomitisierten Bereiche sind gegenüber den Calcitmarmoren chemisch stabiler gegen Lösungsprozesse und sind als Resultat ihrer Überprägung auch geringer geklüftet beziehungsweise geringer hydraulisch leitfähig. Diese drei Gegebenheiten führen dazu, dass sich die Mg-reichen Gesteine nur untergeordnet auf die Stoffkonzentrationen im Grundwasser der Hochstegenformation auswirkt. In der Kasererserie hingegen, deren Gesteine ebenfalls im Arbeitsgebiet liegen, hat sich die Dolomitisierung (möglicherweise in mehreren Deformationsphasen) stärker ausgeprägt, was zusammen mit der stark erhöhten tertiären Porosität unter anderem zu einem Mg-dominierten Grundwassertyp führt. Die durchgehende Verkarstung der Hochstegencarbonate, die in direkter Linie über 20 km zwischen dem Tuxer Ferner am Olperer bis in den Talboden des Zillertals unter Mayrhofen streichen, schafft zusammen mit dem hochalpinen Relief eine hydraulische Kurzschlussverbindung die einer Drainage gleicht: Die Niederschläge und Schmelzwässer nördlich des gesamten Tuxer Hauptkamms werden zu großen Teilen von dem Karstsystem geschluckt und unterirdisch aus dem Tal abgeleitet, ohne den Tuxbach über seine Vorfluter zu erreichen. Durch diese besonderen hydro(geo)logischen Verhältnisse mit signifikantem unterirdischem Gebietsabfluss ergeben sich veränderte Rahmenbedingungen für Modelle der zukünftige Wasserverfügbarkeit. Daher müssen die bereits bestehenden hydrologischen Modelle neben den Einflüssen des Klimawandels auch diese Sondersituation berücksichtigen, um brauchbare Prognosedaten für die bevorstehenden regionalen Planungen zu liefern. Hinsichtlich des geothermischen Potenzials wird der Hochstegenaquifer als Niedrigtemperatur-Reservoir mit geringer bis mittlerer Leitfähigkeit eingestuft. Die geothermische Erschließung ist hinsichtlich ganzjähriger thermischer Nutzbarkeit (Heizen im Winter, Kühlen im Sommer) durch den saisonal hohen Wärme-/Kältebedarf für Winter- und Sommertourismus in einer günstigen Ausgangssituation. Da abgesehen von den Hintertuxer Thermalquellen nur wenige wasserrechtlich genutzte Quellen von diesem Aquifer gespeist werden, ist das Konfliktpotenzial wahrscheinlich gering. |
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Alternatives oder übersetztes Abstract: |
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Status: | Verlagsversion | ||||
URN: | urn:nbn:de:tuda-tuprints-177538 | ||||
Sachgruppe der Dewey Dezimalklassifikatin (DDC): | 500 Naturwissenschaften und Mathematik > 550 Geowissenschaften | ||||
Fachbereich(e)/-gebiet(e): | 11 Fachbereich Material- und Geowissenschaften 11 Fachbereich Material- und Geowissenschaften > Geowissenschaften 11 Fachbereich Material- und Geowissenschaften > Geowissenschaften > Fachgebiet Angewandte Geothermie |
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Hinterlegungsdatum: | 27 Mai 2021 09:44 | ||||
Letzte Änderung: | 01 Jun 2021 05:22 | ||||
PPN: | |||||
Referenten: | Sass, Prof. Dr. Ingo ; Schüth, Prof. Dr. Christoph | ||||
Datum der mündlichen Prüfung / Verteidigung / mdl. Prüfung: | 30 November 2020 | ||||
Export: | |||||
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