Hofmann, Daniel Johannes (2020)
Interareale raumzeitliche Dynamiken und Variabilität der Aktivität neuronaler Populationen im visuellen Kortex der Katze.
Technische Universität Darmstadt
doi: 10.25534/tuprints-00011440
Dissertation, Erstveröffentlichung
Kurzbeschreibung (Abstract)
Die Wahrnehmung von und Reaktion auf externe Reize im Nervensystem ist nicht nur von instantaner Informationsverarbeitung abhängig sein, sondern beruht auch auf Erfahrungen, Erwartungshaltungen und Aufmerksamkeitsphänomenen, die man auch als Zustände des informationsverarbeitenden Systems ansehen kann. Interne Zustände können daher bei der Modulation neuronaler Aktivität als Reaktion auf Sinnesreize eine zentrale Rolle spielen. Bei der Messung neuronaler Antworten auf externe Stimuli ist weithin bekannt, dass diese Antworten trotz unveränderter Stimulationsbedingungen sehr variabel ausfallen können. Die beobachtete Variabilität in einzelnen Datensätze wurden oft als Störsignale aufgefasst, die durch Mitteln aus dem evozierten Signalverlauf entfernt wurden. Methodisch ging man dabei bisher von einem linearen Superpositionsprinzip zwischen zufällig auftretendem Hintergrundrauschen und einem repetitiven, stereotypen Signal aus. Diese Ansicht wurde in den letzten Jahren zunehmend in Frage gestellt. Die Verbesserung sowohl optischer- als auch elektrophysiologischer Techniken zur simultanen Aufnahme neuronaler Netzwerke in Echtzeit mit hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung sowie die Entwicklung neuer Methoden der Datenanalyse ermöglichten erstmals die Analyse auf Niveau von Einzelaufnahmen. Dabei hat sich gezeigt, dass eine seit jeher beobachtete Variabilität in den Daten nicht ausschließlich statistisch zufälligen Ursprungs ist, sondern reale Zustände einer hochdynamischen kortikalen Aktivität widerspiegelt. Nach neuester Auffassung wird diese Variabilität mit spontaner neuronaler Aktivität in Verbindung gebracht. Man nimmt an, dass die Variabilität evozierter neuronaler Antworten in Zusammenhang mit vorangehender oder sogar anhaltender spontaner Aktivität steht und dass diese Variabilität innerhalb der Spontanaktivität wiederum verschiedene Stadien der Wahrnehmung, Aufmerksamkeit und Informationsverarbeitung des Gehirns widerspiegelt. Dies führte zu der Auffassung, dass das Gehirn eine auf individuelle Erfahrungen basierende internen Erwartungshaltung generiert, die sich modulatorisch auf das neuronale Antwortverhalten auf eine Stimulation auswirken können. Als Modulatoren werden interareale Mechanismen ausgehend vom visuellen Thalamus, höheren kortikalen Arealen oder lokale neuronale Spontanaktivität diskutiert. Daraus können sich unterschiedliche spontane Dynamiken ergeben, deren Aufklärung Teil anhaltender Forschung darstellt. Bisher konnte gezeigt werden, dass die Spontanaktivität eine große Rolle bei der zeitlichen Entwicklung funktioneller neuronaler Netzwerke und bei der Verarbeitung interner und externer Signale spielt. Dies betrifft nicht nur einzelne Areale, sondern kann auch interareale Interaktionen in den verschiedenen hierarchisch organisierten Pfaden der Informationsverarbeitung umfassen. Aus dieser Erkenntnis entwickelten sich die zentralen Fragen der systemischen Neurophysiologie, nämlich wie das Gehirn Informationen in diesen dynamischen Netzwerken codiert und welchen Einfluss modulatorische Mechanismen auf die Informationsverarbeitung ausüben. In der vorliegenden Arbeit wurde die raum-zeitliche Dynamik der spontanen Aktivität sowie die Variabilität des Antwortverhaltens auf externe Stimulation des visuellen Systems anästhesierter Katzen im Kontext interarealer Kommunikation analysiert. Unter Verwendung der optischen Aufnahmemethodik des „Voltage sensitive dye“ – Imaging (VSDI) wurde in Area 18 des primären visuellen Kortex der Katze simultan die räumliche Aktivität großer Neuronenpopulationen erfasst. Wie bereits erwähnt, hat sich auch in dieser Arbeit gezeigt, dass trotz konstanter Versuchs- und Stimulationsbedingungen eine hohe Variabilität der neuronalen Antworten auf einen wiederholt präsentierten Stimulus auftrat. Um die Variabilität der Daten in Bezug auf die vorangehende spontane Aktivität zu untersuchen, war es notwendig ohne das Aufmitteln von Daten zu arbeiten. VSDI-Aufnahmen stellten dabei aufgrund ihres Signal-Rausch-Verhältnisses eine besondere Herausforderung dar. Die Identifikation und Reduktion technischer, physikalischer und biologischer Artefakte im Signalverlauf der VSDI-Aufnahmen war für diese Arbeit daher von besonderer Bedeutung. Trotz optimaler Aufnahmebedingungen und Bereinigung der VSDI-Daten von Störquellen konnte eine verbleibende Variabilität in der evozierten Aktivität festgestellt und neuronale Prozessen zugeordnet werden. Vor Stimulationsbeginn konnten auf Basis der optischen VSDI-Aufnahmen Phasen hoher und niedriger spontaner Aktivität identifiziert werden, in denen Aktivitätsmuster auftraten, die räumlich der stimulierten Aktivität ähnelten. Der Erregungsgrad der stimulierten neuronalen Netze in Area 18 zeigte dabei eine Abhängigkeit zu vorangehenden spontanen Zuständen. Simultan zu den optischen Daten wurden elektrophysiologisch Aktions- und Feldpotentiale in Area 18 und im posterioren suprasylvanischen Kortex (PMLS) abgeleitet, um die Rolle von interarealen Kommunikationswegen in diesem Zusammenhang zu untersuchen. Zusammengefasst konnte gezeigt werden, dass die Variationen innerhalb der optischen Daten nicht auf biologischen oder technischen Störeinflüsse beruhen, sondern dass sie neuronalen Ursprungs sind und durch spontan auftretenden Aktivitätsmuster einen internen Zustand darstellen können. Das Ausmaß der Spontanaktivität kurz vor Einsatz der Stimulation beeinflusst dabei die Amplitude der evozierten Aktivität durch die Stimulation. Dieser Zusammenhang wurde auch in Relation zur Topologie der optischen Aufnahmen von Areal 18 gesetzt und zeigte eine im hohen Maß räumlich abhängige Dynamik. Außerdem konnte die Kommunikation zu dem hierarchisch höheren visuelles Areal PMLS festgestellt werden, dessen Aktivität mit den spontanen Zuständen in Verbindung gebracht und als Feedback-System eingeordnet werden konnte. Insgesamt lässt sich festhalten, dass in der vorliegenden Studie und mit den im Rahmen dieser Arbeit etablierten Analysetechniken deutliche Hinweise gefunden werden konnten, die nahelegen, dass interne Zustände im Zentralnervensystem eine wesentliche Rolle bei der Verarbeitung sensorischer Informationen einnehmen.
Typ des Eintrags: | Dissertation | ||||
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Erschienen: | 2020 | ||||
Autor(en): | Hofmann, Daniel Johannes | ||||
Art des Eintrags: | Erstveröffentlichung | ||||
Titel: | Interareale raumzeitliche Dynamiken und Variabilität der Aktivität neuronaler Populationen im visuellen Kortex der Katze | ||||
Sprache: | Deutsch | ||||
Referenten: | Galuske, Prof. Dr. Ralf A. W. ; Munk, PD. Dr. Matthias H. J. | ||||
Publikationsjahr: | Februar 2020 | ||||
Ort: | Darmstadt | ||||
Datum der mündlichen Prüfung: | 31 Januar 2020 | ||||
DOI: | 10.25534/tuprints-00011440 | ||||
URL / URN: | https://tuprints.ulb.tu-darmstadt.de/11440 | ||||
Kurzbeschreibung (Abstract): | Die Wahrnehmung von und Reaktion auf externe Reize im Nervensystem ist nicht nur von instantaner Informationsverarbeitung abhängig sein, sondern beruht auch auf Erfahrungen, Erwartungshaltungen und Aufmerksamkeitsphänomenen, die man auch als Zustände des informationsverarbeitenden Systems ansehen kann. Interne Zustände können daher bei der Modulation neuronaler Aktivität als Reaktion auf Sinnesreize eine zentrale Rolle spielen. Bei der Messung neuronaler Antworten auf externe Stimuli ist weithin bekannt, dass diese Antworten trotz unveränderter Stimulationsbedingungen sehr variabel ausfallen können. Die beobachtete Variabilität in einzelnen Datensätze wurden oft als Störsignale aufgefasst, die durch Mitteln aus dem evozierten Signalverlauf entfernt wurden. Methodisch ging man dabei bisher von einem linearen Superpositionsprinzip zwischen zufällig auftretendem Hintergrundrauschen und einem repetitiven, stereotypen Signal aus. Diese Ansicht wurde in den letzten Jahren zunehmend in Frage gestellt. Die Verbesserung sowohl optischer- als auch elektrophysiologischer Techniken zur simultanen Aufnahme neuronaler Netzwerke in Echtzeit mit hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung sowie die Entwicklung neuer Methoden der Datenanalyse ermöglichten erstmals die Analyse auf Niveau von Einzelaufnahmen. Dabei hat sich gezeigt, dass eine seit jeher beobachtete Variabilität in den Daten nicht ausschließlich statistisch zufälligen Ursprungs ist, sondern reale Zustände einer hochdynamischen kortikalen Aktivität widerspiegelt. Nach neuester Auffassung wird diese Variabilität mit spontaner neuronaler Aktivität in Verbindung gebracht. Man nimmt an, dass die Variabilität evozierter neuronaler Antworten in Zusammenhang mit vorangehender oder sogar anhaltender spontaner Aktivität steht und dass diese Variabilität innerhalb der Spontanaktivität wiederum verschiedene Stadien der Wahrnehmung, Aufmerksamkeit und Informationsverarbeitung des Gehirns widerspiegelt. Dies führte zu der Auffassung, dass das Gehirn eine auf individuelle Erfahrungen basierende internen Erwartungshaltung generiert, die sich modulatorisch auf das neuronale Antwortverhalten auf eine Stimulation auswirken können. Als Modulatoren werden interareale Mechanismen ausgehend vom visuellen Thalamus, höheren kortikalen Arealen oder lokale neuronale Spontanaktivität diskutiert. Daraus können sich unterschiedliche spontane Dynamiken ergeben, deren Aufklärung Teil anhaltender Forschung darstellt. Bisher konnte gezeigt werden, dass die Spontanaktivität eine große Rolle bei der zeitlichen Entwicklung funktioneller neuronaler Netzwerke und bei der Verarbeitung interner und externer Signale spielt. Dies betrifft nicht nur einzelne Areale, sondern kann auch interareale Interaktionen in den verschiedenen hierarchisch organisierten Pfaden der Informationsverarbeitung umfassen. Aus dieser Erkenntnis entwickelten sich die zentralen Fragen der systemischen Neurophysiologie, nämlich wie das Gehirn Informationen in diesen dynamischen Netzwerken codiert und welchen Einfluss modulatorische Mechanismen auf die Informationsverarbeitung ausüben. In der vorliegenden Arbeit wurde die raum-zeitliche Dynamik der spontanen Aktivität sowie die Variabilität des Antwortverhaltens auf externe Stimulation des visuellen Systems anästhesierter Katzen im Kontext interarealer Kommunikation analysiert. Unter Verwendung der optischen Aufnahmemethodik des „Voltage sensitive dye“ – Imaging (VSDI) wurde in Area 18 des primären visuellen Kortex der Katze simultan die räumliche Aktivität großer Neuronenpopulationen erfasst. Wie bereits erwähnt, hat sich auch in dieser Arbeit gezeigt, dass trotz konstanter Versuchs- und Stimulationsbedingungen eine hohe Variabilität der neuronalen Antworten auf einen wiederholt präsentierten Stimulus auftrat. Um die Variabilität der Daten in Bezug auf die vorangehende spontane Aktivität zu untersuchen, war es notwendig ohne das Aufmitteln von Daten zu arbeiten. VSDI-Aufnahmen stellten dabei aufgrund ihres Signal-Rausch-Verhältnisses eine besondere Herausforderung dar. Die Identifikation und Reduktion technischer, physikalischer und biologischer Artefakte im Signalverlauf der VSDI-Aufnahmen war für diese Arbeit daher von besonderer Bedeutung. Trotz optimaler Aufnahmebedingungen und Bereinigung der VSDI-Daten von Störquellen konnte eine verbleibende Variabilität in der evozierten Aktivität festgestellt und neuronale Prozessen zugeordnet werden. Vor Stimulationsbeginn konnten auf Basis der optischen VSDI-Aufnahmen Phasen hoher und niedriger spontaner Aktivität identifiziert werden, in denen Aktivitätsmuster auftraten, die räumlich der stimulierten Aktivität ähnelten. Der Erregungsgrad der stimulierten neuronalen Netze in Area 18 zeigte dabei eine Abhängigkeit zu vorangehenden spontanen Zuständen. Simultan zu den optischen Daten wurden elektrophysiologisch Aktions- und Feldpotentiale in Area 18 und im posterioren suprasylvanischen Kortex (PMLS) abgeleitet, um die Rolle von interarealen Kommunikationswegen in diesem Zusammenhang zu untersuchen. Zusammengefasst konnte gezeigt werden, dass die Variationen innerhalb der optischen Daten nicht auf biologischen oder technischen Störeinflüsse beruhen, sondern dass sie neuronalen Ursprungs sind und durch spontan auftretenden Aktivitätsmuster einen internen Zustand darstellen können. Das Ausmaß der Spontanaktivität kurz vor Einsatz der Stimulation beeinflusst dabei die Amplitude der evozierten Aktivität durch die Stimulation. Dieser Zusammenhang wurde auch in Relation zur Topologie der optischen Aufnahmen von Areal 18 gesetzt und zeigte eine im hohen Maß räumlich abhängige Dynamik. Außerdem konnte die Kommunikation zu dem hierarchisch höheren visuelles Areal PMLS festgestellt werden, dessen Aktivität mit den spontanen Zuständen in Verbindung gebracht und als Feedback-System eingeordnet werden konnte. Insgesamt lässt sich festhalten, dass in der vorliegenden Studie und mit den im Rahmen dieser Arbeit etablierten Analysetechniken deutliche Hinweise gefunden werden konnten, die nahelegen, dass interne Zustände im Zentralnervensystem eine wesentliche Rolle bei der Verarbeitung sensorischer Informationen einnehmen. |
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Alternatives oder übersetztes Abstract: |
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URN: | urn:nbn:de:tuda-tuprints-114405 | ||||
Sachgruppe der Dewey Dezimalklassifikatin (DDC): | 500 Naturwissenschaften und Mathematik > 570 Biowissenschaften, Biologie | ||||
Fachbereich(e)/-gebiet(e): | 10 Fachbereich Biologie 10 Fachbereich Biologie > Systemische Neurophysiologie |
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Hinterlegungsdatum: | 23 Feb 2020 20:55 | ||||
Letzte Änderung: | 23 Feb 2020 20:55 | ||||
PPN: | |||||
Referenten: | Galuske, Prof. Dr. Ralf A. W. ; Munk, PD. Dr. Matthias H. J. | ||||
Datum der mündlichen Prüfung / Verteidigung / mdl. Prüfung: | 31 Januar 2020 | ||||
Export: | |||||
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