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Menschbezogener Umgang mit Systemstörungen bei teilautomatisierter manöverbasierter Fahrzeugführung

Pfromm, Matthias (2016)
Menschbezogener Umgang mit Systemstörungen bei teilautomatisierter manöverbasierter Fahrzeugführung.
Technische Universität Darmstadt
Dissertation, Erstveröffentlichung

Kurzbeschreibung (Abstract)

Automatisierte Fahrzeugführung bietet eine Chance, die Sicherheit im Straßenverkehr zu erhöhen, den Verkehrsfluss zu optimieren und mehr Menschen an automobiler Mobilität teilhaben zu lassen. Da die Vollautomatisierung von Pkw nicht in absehbarer Zeit umsetzbar ist, werden teilautomatisierte Fahrerassistenzsysteme in naher Zukunft immer mehr an Bedeutung gewinnen. Bei diesen Systemen werden die Fahrzeugführungsaufgaben sowohl vom Fahrer als auch vom Fahrerassistenzsystem ausgeführt. Der Fahrer hat die Aufgabe, die Automation zu überwachen und im Fall einer Systemstörung selbst die entsprechende Aufgabe zu übernehmen. Untersuchungen haben ergeben, dass der Fahrer bei ungünstig gestalteter Automation dazu nicht in der Lage ist. Ein vielversprechender Ansatz zur Führung teilautomatisierter Fahrerassistenzsysteme ist die manöverbasierte Fahrzeugführung. Bei ihr bleibt der Fahrer in die Fahrzeugführung eingebunden, indem er Manöver an das System delegiert und Parameter übergibt, wodurch eine zuverlässigere Übernahme der Fahrzeugführung durch den Fahrer im Falle einer Systemstörung erwartet wird. In dieser Arbeit wird der menschbezogene Umgang mit teilautomatisierter manöverbasierter Fahrzeugführung untersucht. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht der Umgang des Fahrers mit Systemstörungen. Es wird untersucht, ob der Fahrer die Aufgabenteilung zwischen Mensch und Maschine versteht, ob er zu jeder Zeit über ausreichendes Situationsbewusstsein verfügt und ob er in der Lage ist, im Falle von Systemstörungen die Fahrzeugführung sicher zu übernehmen. Außerdem wird das subjektive Empfinden des Fahrers bezüglich der teilautomatisierten Fahrzeugführung und der Systemstörung betrachtet. Zur Klärung der Fragen werden Versuche im kontrollierten Feld durchgeführt. Als Versuchsträger wird die Umsetzung der teilautomatisierten manöverbasierten Fahrzeugführung im PRORETA 3-Projekt „Kooperative Automation“ verwendet. Als Referenz dient der assistierte Modus „Safety Corridor“. Die Probanden werden im Versuchsablauf mit dem Ausfall der automatischen Querführung auf der Geraden und in der Kurve konfrontiert. Außerdem werden der Ausfall der automatischen Bremsung an einer Lichtsignalanlage sowie der automatischen Geschwindigkeitsverringerung an einem Tempolimit untersucht. Die Messdaten werden durch standardisierte und speziell erstellte Fragebögen, durch Blickbewegungsanalysen sowie Auswertung von Video-Daten erfasst. Die Versuche zeigen, dass die Fahrer die aktiv auszuführenden Aufgaben, wie die Parameter- und Manövereingaben, grundsätzlich verstehen und benennen können, die Aufgaben der Überwachung des Assistenzsystems und der Beobachtung der Umgebung aber vernachlässigen. Ob der Fahrer die Fahrzeugführung im Falle von Systemstörungen zurückübernimmt, ist situationsabhängig. Beim Ausfall der automatischen Bremsung an der Lichtsignalanlage (Längs-LSA) übernahmen alle (100 %) Fahrer die Fahrzeugführung, beim Ausfall der automatischen Geschwindigkeitsanpassung an einem Tempolimit-Verkehrszeichen (Längs-Gerade) hingegen weniger als die Hälfte (45 %). Beim Ausfall der Querführung übernahmen auch nicht alle Fahrer die Fahrzeugführung: Auf der Geraden 85 %, in der Kurve 90 %. Der geringe Anteil der übernommenen Fahrzeugführungs-Aufgaben in der Situation Längs-Gerade lässt sich vor allem dadurch erklären, dass der Fahrer die Systemstörungen nicht erkennt, weil er die Überwachungsaufgaben nicht ausreichend ausführt, da er über unzureichendes Systemverständnis verfügt. Die Reaktion auf die Systemstörung kann jedoch in der Situation Längs-Gerade durch eine Übernahmeaufforderung über die Mensch-Maschine-Schnittstelle verbessert werden. In den anderen Situationen erkannten die Fahrer die Systemstörungen zuverlässiger. Die Nichtreaktionen bei Ausfall der Querführung lassen sich durch ein zu hohes Systemvertrauen und den Versuchskontext erklären. Die kürzesten Reaktionszeiten wurden in der Situation Längs-LSA (Ausfall Bremsung an Lichtsignalanlage) gemessen (M = 1,7 s). Gleichzeitig war dies die am zeitkritischsten gestaltete Situation, die auch von den Fahrern als am kritischsten beurteilt wurde. Die längsten Reaktionszeiten (M = 3,3 s) wurden in der Situation Längs-Gerade (Ausfall der Tempoanpassung) gemessen, die am wenigsten zeitkritisch gestaltet worden war und von den Fahrern als am wenigsten kritisch beurteilt wurde. Die Reaktionszeiten der Situationen Quer-Gerade (M = 3,23 s) und Quer-Kurve (M = 2,57 s) liegen genau wie die Zeitkritikalität der Situationen und das bewertete Risiko zwischen den beiden anderen Situationen. Die subjektiven Ergebnisse sprechen für die teilautomatisierte manöverbasierte Fahrzeugführung. Sie zeigen, dass der Fahrer durch sie, im Vergleich zur assistierten, entlastet wird. Das Vertrauen des Fahrers in das System und das Sicherheitsgefühl sind hoch. Bemerkenswert ist auch, dass die Systemakzeptanz selbst durch das Erleben von Systemstörungen nicht stark negativ beeinflusst wird. Vom Fahrer werden die Systemstörungen als kontrollierbar eingeschätzt.

Typ des Eintrags: Dissertation
Erschienen: 2016
Autor(en): Pfromm, Matthias
Art des Eintrags: Erstveröffentlichung
Titel: Menschbezogener Umgang mit Systemstörungen bei teilautomatisierter manöverbasierter Fahrzeugführung
Sprache: Deutsch
Referenten: Bruder, Prof. Dr. Ralph ; Winner, Prof. Dr. Hermann
Publikationsjahr: 2016
Ort: Darmstadt
Datum der mündlichen Prüfung: 12 Oktober 2016
URL / URN: http://tuprints.ulb.tu-darmstadt.de/5724
Kurzbeschreibung (Abstract):

Automatisierte Fahrzeugführung bietet eine Chance, die Sicherheit im Straßenverkehr zu erhöhen, den Verkehrsfluss zu optimieren und mehr Menschen an automobiler Mobilität teilhaben zu lassen. Da die Vollautomatisierung von Pkw nicht in absehbarer Zeit umsetzbar ist, werden teilautomatisierte Fahrerassistenzsysteme in naher Zukunft immer mehr an Bedeutung gewinnen. Bei diesen Systemen werden die Fahrzeugführungsaufgaben sowohl vom Fahrer als auch vom Fahrerassistenzsystem ausgeführt. Der Fahrer hat die Aufgabe, die Automation zu überwachen und im Fall einer Systemstörung selbst die entsprechende Aufgabe zu übernehmen. Untersuchungen haben ergeben, dass der Fahrer bei ungünstig gestalteter Automation dazu nicht in der Lage ist. Ein vielversprechender Ansatz zur Führung teilautomatisierter Fahrerassistenzsysteme ist die manöverbasierte Fahrzeugführung. Bei ihr bleibt der Fahrer in die Fahrzeugführung eingebunden, indem er Manöver an das System delegiert und Parameter übergibt, wodurch eine zuverlässigere Übernahme der Fahrzeugführung durch den Fahrer im Falle einer Systemstörung erwartet wird. In dieser Arbeit wird der menschbezogene Umgang mit teilautomatisierter manöverbasierter Fahrzeugführung untersucht. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht der Umgang des Fahrers mit Systemstörungen. Es wird untersucht, ob der Fahrer die Aufgabenteilung zwischen Mensch und Maschine versteht, ob er zu jeder Zeit über ausreichendes Situationsbewusstsein verfügt und ob er in der Lage ist, im Falle von Systemstörungen die Fahrzeugführung sicher zu übernehmen. Außerdem wird das subjektive Empfinden des Fahrers bezüglich der teilautomatisierten Fahrzeugführung und der Systemstörung betrachtet. Zur Klärung der Fragen werden Versuche im kontrollierten Feld durchgeführt. Als Versuchsträger wird die Umsetzung der teilautomatisierten manöverbasierten Fahrzeugführung im PRORETA 3-Projekt „Kooperative Automation“ verwendet. Als Referenz dient der assistierte Modus „Safety Corridor“. Die Probanden werden im Versuchsablauf mit dem Ausfall der automatischen Querführung auf der Geraden und in der Kurve konfrontiert. Außerdem werden der Ausfall der automatischen Bremsung an einer Lichtsignalanlage sowie der automatischen Geschwindigkeitsverringerung an einem Tempolimit untersucht. Die Messdaten werden durch standardisierte und speziell erstellte Fragebögen, durch Blickbewegungsanalysen sowie Auswertung von Video-Daten erfasst. Die Versuche zeigen, dass die Fahrer die aktiv auszuführenden Aufgaben, wie die Parameter- und Manövereingaben, grundsätzlich verstehen und benennen können, die Aufgaben der Überwachung des Assistenzsystems und der Beobachtung der Umgebung aber vernachlässigen. Ob der Fahrer die Fahrzeugführung im Falle von Systemstörungen zurückübernimmt, ist situationsabhängig. Beim Ausfall der automatischen Bremsung an der Lichtsignalanlage (Längs-LSA) übernahmen alle (100 %) Fahrer die Fahrzeugführung, beim Ausfall der automatischen Geschwindigkeitsanpassung an einem Tempolimit-Verkehrszeichen (Längs-Gerade) hingegen weniger als die Hälfte (45 %). Beim Ausfall der Querführung übernahmen auch nicht alle Fahrer die Fahrzeugführung: Auf der Geraden 85 %, in der Kurve 90 %. Der geringe Anteil der übernommenen Fahrzeugführungs-Aufgaben in der Situation Längs-Gerade lässt sich vor allem dadurch erklären, dass der Fahrer die Systemstörungen nicht erkennt, weil er die Überwachungsaufgaben nicht ausreichend ausführt, da er über unzureichendes Systemverständnis verfügt. Die Reaktion auf die Systemstörung kann jedoch in der Situation Längs-Gerade durch eine Übernahmeaufforderung über die Mensch-Maschine-Schnittstelle verbessert werden. In den anderen Situationen erkannten die Fahrer die Systemstörungen zuverlässiger. Die Nichtreaktionen bei Ausfall der Querführung lassen sich durch ein zu hohes Systemvertrauen und den Versuchskontext erklären. Die kürzesten Reaktionszeiten wurden in der Situation Längs-LSA (Ausfall Bremsung an Lichtsignalanlage) gemessen (M = 1,7 s). Gleichzeitig war dies die am zeitkritischsten gestaltete Situation, die auch von den Fahrern als am kritischsten beurteilt wurde. Die längsten Reaktionszeiten (M = 3,3 s) wurden in der Situation Längs-Gerade (Ausfall der Tempoanpassung) gemessen, die am wenigsten zeitkritisch gestaltet worden war und von den Fahrern als am wenigsten kritisch beurteilt wurde. Die Reaktionszeiten der Situationen Quer-Gerade (M = 3,23 s) und Quer-Kurve (M = 2,57 s) liegen genau wie die Zeitkritikalität der Situationen und das bewertete Risiko zwischen den beiden anderen Situationen. Die subjektiven Ergebnisse sprechen für die teilautomatisierte manöverbasierte Fahrzeugführung. Sie zeigen, dass der Fahrer durch sie, im Vergleich zur assistierten, entlastet wird. Das Vertrauen des Fahrers in das System und das Sicherheitsgefühl sind hoch. Bemerkenswert ist auch, dass die Systemakzeptanz selbst durch das Erleben von Systemstörungen nicht stark negativ beeinflusst wird. Vom Fahrer werden die Systemstörungen als kontrollierbar eingeschätzt.

Alternatives oder übersetztes Abstract:
Alternatives AbstractSprache

Automated vehicle guidance offers an opportunity to increase road safety, optimize traffic flow, and allow more people to participate in automotive mobility. As the full automation of passenger cars will not be possible in the foreseeable future, partly automated driver assistance systems will become increasingly important in the near future. In these systems, the vehicle guidance tasks are carried out both by the driver and by the driver assistance system. The driver has the task of monitoring the automation and, in the event of a system malfunction, to take over the corresponding task. Investigations have shown that the driver is not able to do this in the event of unfavorable task distribution between driver and automation. A promising approach to the design of partially automated driver assistance systems is the maneuver based vehicle guidance. In this case, the driver remains involved in the vehicle guidance by delegating maneuvers to the system and entering parameters, whereby a more reliable take-over of the vehicle guidance by the driver is expected in the event of a system malfunction. In this thesis, handling of partially automated maneuver based vehicle guidance by the driver is examined. The focus of the investigation is the handling of the driver with system malfunctions. It is investigated whether the driver understands the division of tasks between human and machine, whether he/she has sufficient situational awareness at all times, and whether he/she is able to safely take over the vehicle guidance in case of system malfunctions. In addition, the subjective perception of the driver with respect to the partly automated vehicle management and system failure is investigated. In order to examine the questions, experiments are carried out in the controlled field. The implementation of the partially automated maneuver based vehicle guidance in the PRORETA 3 project "Cooperative Automation" is used. The assisted mode "Safety Corridor" serves as a reference. The subjects are confronted with the failure of the automatic lateral guidance on a straight road and in a road bend. In addition the failure of the automatic braking at a traffic light as well as the failure of automatic speed reduction at a speed limit sign are investigated. The data are collected by means of standardized and specially created questionnaires, through eye movement analyzes and evaluation of video data. The tests show that the drivers are able to understand and name the active tasks, such as the parameter and maneuver inputs, but they neglect the tasks of monitoring the assistance system and the observation of the environment. Whether the driver takes over the vehicle guidance in case of system malfunctions is dependent on the situation. In the event of a failure of automatic braking at the traffic light, all (100%) drivers took over the vehicle guidance, whereas in the case of a failure of the automatic speed adjustment on a speed limit sign, less than half (45%) took over. In the event of a failure of the lateral guidance, not all drivers took over the vehicle guidance: on the straight road 85%, in the road bend 90%. The small proportion of the vehicle guidance tasks taken over can be explained mainly by the fact that the driver does not recognize the system malfunctions because he does not adequately perform the monitoring tasks because he has inadequate system understanding. However, the response to the system fault can be improved by a take-over request via the human-machine interface. In other situations, the drivers recognized the system faults more reliably. The nonreactions in the event of a failure of the lateral guide can be explained by too high system trust and the experimental context. The shortest reaction times were measured in the situation failure of automatic braking at the traffic light (M = 1.7 s). At the same time, this was the most time-critical situation, which was also rated by the drivers as the most critical. The longest reaction times (M = 3.3 s) were measured in the situation failure of the speed adjustment, which was the least time-critical and was judged to be the least critical by the drivers.

Englisch
Freie Schlagworte: PRORETA3
URN: urn:nbn:de:tuda-tuprints-57240
Sachgruppe der Dewey Dezimalklassifikatin (DDC): 600 Technik, Medizin, angewandte Wissenschaften > 620 Ingenieurwissenschaften und Maschinenbau
Fachbereich(e)/-gebiet(e): 16 Fachbereich Maschinenbau
16 Fachbereich Maschinenbau > Institut für Arbeitswissenschaft (IAD)
16 Fachbereich Maschinenbau > Institut für Arbeitswissenschaft (IAD) > Mensch-Maschine-Interaktion & Mobilität
Hinterlegungsdatum: 20 Nov 2016 20:55
Letzte Änderung: 17 Jan 2020 11:25
PPN:
Referenten: Bruder, Prof. Dr. Ralph ; Winner, Prof. Dr. Hermann
Datum der mündlichen Prüfung / Verteidigung / mdl. Prüfung: 12 Oktober 2016
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