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Modellierung von Fußgängerströmen

Klafs, Christian (1999)
Modellierung von Fußgängerströmen.
Technische Universität Darmstadt
Diplom- oder Magisterarbeit, Bibliographie

Kurzbeschreibung (Abstract)

Entgegen der vorschnellen Vermutung, Fußgänger verhalten sich im Verkehrsraum völlig ungeordnet, herrschen doch gewisse Gesetzmäßigkeiten, nach denen das Bewegungsverhalten abläuft. Dies wird anhand der Definition und Quantifizierung von Parametern zur Beschreibung von Fußgängerströmen gezeigt. Diese Parameter sind später wichtige Eingangsgrößen bei der Modellierung und Simulation. Dabei ist die Bewegung des Fußgängers kaum von technischen Randbedingungen, wie beim Kfz-Verkehr, abhängig. Die Kenngrößen, mit denen die Bewegung eines Fußgängers im Verkehrsraum hinreichend beschrieben werden kann, sind: • Geschwindigkeit [m/s] • Bewegungsrichtung [x,y,z] • Dichte [P/m²] • Verkehrsqualität (als Indikator eines Geschwindigkeit-Dichte-Verhältnisses) • Platzbedarf [m²/P]. Für diese Kenngrößen wurden in vergangenen Untersuchungen bestimmte, spezifische Werte für Fußgängerbewegungen ermittelt: • Die durchschnittliche Geschwindigkeit eines unbeeinflußten Fußgängers beträgt 1,34 m/s • Die maximale Fußgängerdichte, bei der eine Bewegung zum Erliegen kommt, liegt bei 5,4 P/m². • Der dynamische Platzbedarf, der auch die Schwankungsbewegung des Körpers berück-sichtigt, wird mit 0,45 m²/P angegeben. Dies entspricht einer Dichte von 2,2 P/m². Auf Basis dieser Kenngrößen mit den Grundwerten der Fußgängerbewegung kann die weitere Definition von Parametern zur Beschreibung von Fußgängerströmen erfolgen. Diese Parameter sind nach zwei Gruppen zu ordnen: 1. Objekte und Gegebenheiten, die das Bewegungsverhalten des Menschen beeinflussen, wie Weglänge, Zeitbedarf, Hindernisse, andere Fußgänger, Umgebungseinflüsse (Witterung, Tageszeit etc.), Oberflächeneigenschaften, Längsneigungen, attraktive Objekte (z.B. Schaufenster) sowie mitgeführte Lasten. 2. Charaktere und Typen von Fußgängern. Zu den Merkmalen, nach denen sich Fußgänger im Verkehrsraum gruppieren lassen, gehören Geschlecht, Alter, Verkehrszweck und Gruppengröße (alleine, Zweier-, Dreier- oder Vierergruppen). Dabei erscheint es besonders wichtig, für eine spätere Modellierung und Simulation auch die verschiedenen Einflüsse auf das Bewegungsverhalten für unterschiedliche Fußgängertypen zu kennen. Solche differenzierten Quantifizierungen sind in der Literatur bisher kaum zu finden. Zwar waren die verschiedenen Einflüsse bereits Gegenstand von Untersuchungen, doch dort wurde kaum nach verschiedenen gruppenspezifischen Merkmalen unterschieden. Umgekehrt wurde bei der Untersuchung von Fußgängergruppen bisher auf differenzierte Betrachtungen verschiedener Einflüsse meist verzichtet. Beispielsweise wäre es wichtig, zu wissen, wie sich Fußgänger verschiedener Altersgruppen auf Rampen oder bei schlechter Witterung verhalten. Deshalb kann als Ergebnis dieser Bestandsanalyse ein hoher Bedarf an künftigen Untersuchungen festgehalten werden, um zu einer realitätsnahen Modellierung und Simulation von Fußgängerströmen zu gelangen. Für die realitätsnahe Modellierung ist jedoch in erheblichem Maße auch die Struktur und das Grundprinzip eines Modells wichtig. Hierzu ist zunächst die Unterscheidung nach makroskopischen und mikroskopischen Modellen zu klären. Die Besonderheit und gleichzeitig der Vorteil mikroskopischer Modelle ist, daß das Subjekt (hier: der Fußgänger) als Einzelindividuum mit seinen besonderen Verhaltensweisen betrachtet wird. Makroskopische Modelle betrachten die Fußgänger als Masse (z.B. physikalische Flüssigkeit oder Gas), wobei die Eigenschaften einzelner Individuen keine Berücksichtigung finden. Die unterschiedlichen Strukturen der beiden mikroskopischen Modelle von Gipps und Molnár werden näher betrachtet, da diese anwendbar auf das Bewegungsverhalten von Fußgängern in einem allgemeinen Raum erscheinen. Die Besonderheit des Modellansatzes von Gipps ist dabei die Unterteilung in Komponenten. Die Komponente "Routenwahl" (route choice) modelliert die mikroskopischen Eigenschaften der Einzelindividuen in einem makroskopischen Raum. Das bedeutet, daß die die Geometrie des Bewegungsraumes als Netzwerk von Knoten nachgebildet wird. Dabei ist für den Fußgänger die Minimierung der Weglänge ein wichtiges Kriterium. Die zweite Komponente "Bewegung auf einem Weg" (movement en route) läßt den Fußgänger auf einem Raster aus hexagonalen (sechseckigen) Zellen laufen. Dabei sind die Zellen mit Hindernissen und anderen Fußgängern besetzt. Die Modellierung des Raumes erfolgt hier also auf der mikroskopischen Ebene. Ein Schritt in eine benachbarte Zelle ist mit Verlust und Nutzen verbunden. Dies wird im Modell durch mathematische Nutzen- und Verlustfunktionen modelliert. Der zweite mikroskopische Modellansatz von Molnár beruht auf der "Theorie der sozialen Kräfte". Dabei bewegt sich ein Individuum in einem sozialen Kraftfeld, dessen Einflüsse das Verhalten dieses Individuum bestimmen. Die verschiedenen Einflüsse als soziale Kräfte können überlagert werden. Dabei wird eine Geschwindigkeitsänderung (Beschleunigung oder Verzögerung) des Fußgängers zunächst durch eine Antriebskraft, die aus der Wunschgeschwindigkeit und der Richtung resultiert, verursacht. Diese Antriebskraft wird mit anderen sozialen Kräften, die z.B. aus der Nähe zu anderen Fußgängern oder Hindernissen entstehen addiert und es entsteht die Bewegungsgleichung. Besonderer Vorteil dieses Modelltyps ist seine Flexibilität. Die verschiedenen Einflüsse lassen sich werkzeugkastenmäßig für beliebige Situationen zusammensetzen und überlagern. Nach dem Prinzip der sozialen Kräfte sind beliebige Erweiterungen für weitere Einflüsse und Fußgängertypen denkbar. Demgegenüber läßt das relativ starre Modell von Gipps nur wenig Spielraum für Erweiterungen. Die vielen verschiedenen Gleichungen führen schnell zu einer Komplexität, die nur noch wenig überschaubar ist. Damit erhöht sich letztendlich auch die Fehlerwahrscheinlichkeit. Aus diesem Grunde ist für die Modellierung und spätere Simulation von Fußgängern das Modell von Molnár zu empfehlen. Insgesamt ist aus der Betrachtung der verschiedenen Parameter von Fußgängerströmen und der Untersuchung der bestehenden Modellansätze für die Zukunft ein hoher Forschungsbedarf abzuleiten. Es ist festzuhalten, daß erst in den 80er- und 90er-Jahren der Fußgängerverkehr an Bedeutung in der Planung und Forschung zugenommen hat. Dennoch sind die Spuren der 60er- und 70er-Jahre, in denen der Kfz-Verkehr ein deutliches Über-gewicht besaß, heute noch zu beobachten. Dabei wird in Zukunft die Betrachtung der Verkehrsarten (Fußgänger, Radfahrer, MIV, ÖV) unter einem Dach von großer Wichtigkeit sein, um den Anforderungen und Bedürfnissen aller möglichst gerecht zu werden.

Typ des Eintrags: Diplom- oder Magisterarbeit
Erschienen: 1999
Autor(en): Klafs, Christian
Art des Eintrags: Bibliographie
Titel: Modellierung von Fußgängerströmen
Sprache: Deutsch
Referenten: Boltze, Prof. Dr. Manfred
Publikationsjahr: 1999
Ort: Darmstadt
Datum der mündlichen Prüfung: 1999
URL / URN: https://www.verkehr.tu-darmstadt.de/media/verkehr/fgvv/beruf...
Kurzbeschreibung (Abstract):

Entgegen der vorschnellen Vermutung, Fußgänger verhalten sich im Verkehrsraum völlig ungeordnet, herrschen doch gewisse Gesetzmäßigkeiten, nach denen das Bewegungsverhalten abläuft. Dies wird anhand der Definition und Quantifizierung von Parametern zur Beschreibung von Fußgängerströmen gezeigt. Diese Parameter sind später wichtige Eingangsgrößen bei der Modellierung und Simulation. Dabei ist die Bewegung des Fußgängers kaum von technischen Randbedingungen, wie beim Kfz-Verkehr, abhängig. Die Kenngrößen, mit denen die Bewegung eines Fußgängers im Verkehrsraum hinreichend beschrieben werden kann, sind: • Geschwindigkeit [m/s] • Bewegungsrichtung [x,y,z] • Dichte [P/m²] • Verkehrsqualität (als Indikator eines Geschwindigkeit-Dichte-Verhältnisses) • Platzbedarf [m²/P]. Für diese Kenngrößen wurden in vergangenen Untersuchungen bestimmte, spezifische Werte für Fußgängerbewegungen ermittelt: • Die durchschnittliche Geschwindigkeit eines unbeeinflußten Fußgängers beträgt 1,34 m/s • Die maximale Fußgängerdichte, bei der eine Bewegung zum Erliegen kommt, liegt bei 5,4 P/m². • Der dynamische Platzbedarf, der auch die Schwankungsbewegung des Körpers berück-sichtigt, wird mit 0,45 m²/P angegeben. Dies entspricht einer Dichte von 2,2 P/m². Auf Basis dieser Kenngrößen mit den Grundwerten der Fußgängerbewegung kann die weitere Definition von Parametern zur Beschreibung von Fußgängerströmen erfolgen. Diese Parameter sind nach zwei Gruppen zu ordnen: 1. Objekte und Gegebenheiten, die das Bewegungsverhalten des Menschen beeinflussen, wie Weglänge, Zeitbedarf, Hindernisse, andere Fußgänger, Umgebungseinflüsse (Witterung, Tageszeit etc.), Oberflächeneigenschaften, Längsneigungen, attraktive Objekte (z.B. Schaufenster) sowie mitgeführte Lasten. 2. Charaktere und Typen von Fußgängern. Zu den Merkmalen, nach denen sich Fußgänger im Verkehrsraum gruppieren lassen, gehören Geschlecht, Alter, Verkehrszweck und Gruppengröße (alleine, Zweier-, Dreier- oder Vierergruppen). Dabei erscheint es besonders wichtig, für eine spätere Modellierung und Simulation auch die verschiedenen Einflüsse auf das Bewegungsverhalten für unterschiedliche Fußgängertypen zu kennen. Solche differenzierten Quantifizierungen sind in der Literatur bisher kaum zu finden. Zwar waren die verschiedenen Einflüsse bereits Gegenstand von Untersuchungen, doch dort wurde kaum nach verschiedenen gruppenspezifischen Merkmalen unterschieden. Umgekehrt wurde bei der Untersuchung von Fußgängergruppen bisher auf differenzierte Betrachtungen verschiedener Einflüsse meist verzichtet. Beispielsweise wäre es wichtig, zu wissen, wie sich Fußgänger verschiedener Altersgruppen auf Rampen oder bei schlechter Witterung verhalten. Deshalb kann als Ergebnis dieser Bestandsanalyse ein hoher Bedarf an künftigen Untersuchungen festgehalten werden, um zu einer realitätsnahen Modellierung und Simulation von Fußgängerströmen zu gelangen. Für die realitätsnahe Modellierung ist jedoch in erheblichem Maße auch die Struktur und das Grundprinzip eines Modells wichtig. Hierzu ist zunächst die Unterscheidung nach makroskopischen und mikroskopischen Modellen zu klären. Die Besonderheit und gleichzeitig der Vorteil mikroskopischer Modelle ist, daß das Subjekt (hier: der Fußgänger) als Einzelindividuum mit seinen besonderen Verhaltensweisen betrachtet wird. Makroskopische Modelle betrachten die Fußgänger als Masse (z.B. physikalische Flüssigkeit oder Gas), wobei die Eigenschaften einzelner Individuen keine Berücksichtigung finden. Die unterschiedlichen Strukturen der beiden mikroskopischen Modelle von Gipps und Molnár werden näher betrachtet, da diese anwendbar auf das Bewegungsverhalten von Fußgängern in einem allgemeinen Raum erscheinen. Die Besonderheit des Modellansatzes von Gipps ist dabei die Unterteilung in Komponenten. Die Komponente "Routenwahl" (route choice) modelliert die mikroskopischen Eigenschaften der Einzelindividuen in einem makroskopischen Raum. Das bedeutet, daß die die Geometrie des Bewegungsraumes als Netzwerk von Knoten nachgebildet wird. Dabei ist für den Fußgänger die Minimierung der Weglänge ein wichtiges Kriterium. Die zweite Komponente "Bewegung auf einem Weg" (movement en route) läßt den Fußgänger auf einem Raster aus hexagonalen (sechseckigen) Zellen laufen. Dabei sind die Zellen mit Hindernissen und anderen Fußgängern besetzt. Die Modellierung des Raumes erfolgt hier also auf der mikroskopischen Ebene. Ein Schritt in eine benachbarte Zelle ist mit Verlust und Nutzen verbunden. Dies wird im Modell durch mathematische Nutzen- und Verlustfunktionen modelliert. Der zweite mikroskopische Modellansatz von Molnár beruht auf der "Theorie der sozialen Kräfte". Dabei bewegt sich ein Individuum in einem sozialen Kraftfeld, dessen Einflüsse das Verhalten dieses Individuum bestimmen. Die verschiedenen Einflüsse als soziale Kräfte können überlagert werden. Dabei wird eine Geschwindigkeitsänderung (Beschleunigung oder Verzögerung) des Fußgängers zunächst durch eine Antriebskraft, die aus der Wunschgeschwindigkeit und der Richtung resultiert, verursacht. Diese Antriebskraft wird mit anderen sozialen Kräften, die z.B. aus der Nähe zu anderen Fußgängern oder Hindernissen entstehen addiert und es entsteht die Bewegungsgleichung. Besonderer Vorteil dieses Modelltyps ist seine Flexibilität. Die verschiedenen Einflüsse lassen sich werkzeugkastenmäßig für beliebige Situationen zusammensetzen und überlagern. Nach dem Prinzip der sozialen Kräfte sind beliebige Erweiterungen für weitere Einflüsse und Fußgängertypen denkbar. Demgegenüber läßt das relativ starre Modell von Gipps nur wenig Spielraum für Erweiterungen. Die vielen verschiedenen Gleichungen führen schnell zu einer Komplexität, die nur noch wenig überschaubar ist. Damit erhöht sich letztendlich auch die Fehlerwahrscheinlichkeit. Aus diesem Grunde ist für die Modellierung und spätere Simulation von Fußgängern das Modell von Molnár zu empfehlen. Insgesamt ist aus der Betrachtung der verschiedenen Parameter von Fußgängerströmen und der Untersuchung der bestehenden Modellansätze für die Zukunft ein hoher Forschungsbedarf abzuleiten. Es ist festzuhalten, daß erst in den 80er- und 90er-Jahren der Fußgängerverkehr an Bedeutung in der Planung und Forschung zugenommen hat. Dennoch sind die Spuren der 60er- und 70er-Jahre, in denen der Kfz-Verkehr ein deutliches Über-gewicht besaß, heute noch zu beobachten. Dabei wird in Zukunft die Betrachtung der Verkehrsarten (Fußgänger, Radfahrer, MIV, ÖV) unter einem Dach von großer Wichtigkeit sein, um den Anforderungen und Bedürfnissen aller möglichst gerecht zu werden.

Fachbereich(e)/-gebiet(e): 13 Fachbereich Bau- und Umweltingenieurwissenschaften
13 Fachbereich Bau- und Umweltingenieurwissenschaften > Verbund Institute für Verkehr
13 Fachbereich Bau- und Umweltingenieurwissenschaften > Verbund Institute für Verkehr > Institut für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik
Hinterlegungsdatum: 01 Feb 2018 12:14
Letzte Änderung: 22 Jun 2018 12:01
PPN:
Referenten: Boltze, Prof. Dr. Manfred
Datum der mündlichen Prüfung / Verteidigung / mdl. Prüfung: 1999
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